Berlin, 1. Januar 2010 — Zu Beginn des neuen Jahrzehnts steht die internationale Raumfahrt an einem Scheideweg. Die Space Shuttles, der Stolz Amerikas, heben 2010 noch fünfmal zur Internationalen Raumstation ISS ab und stellen dann im September nach 134 Missionen den Dienst ein. Nach knapp 30 Jahren ist dieses Transportsystem, das wie eine Rakete startet und antriebslos wie ein Segelflugzeug landet, technisch und moralisch verschlissen, sehr störanfällig und zudem extrem teuer in der Wartung. Ein Start kostet rund eine halbe Milliarde Dollar. Der Traum der Amerikaner, mit dem Serieneinsatz der Fähren Raumflüge billiger zu machen, hat sich nicht erfüllt.
Fassungslos muss zudem die Fachwelt zur Kenntnis nehmen, dass es die USA auch nicht vermocht haben, rechtzeitig für Ersatz zu sorgen. Die Entwicklung des Shuttle-Nachfolgers „Orion“ hat sich nach der „Columbia“-Katastrophe von 2003 immer wieder verzögert, weil das Geld für die sicherheitstechnische Nachrüstung der verbliebenen Raumfähren „Atlantis“, „Endeavour“ und „Discovery“ gebraucht wurde. Wenn alles gut geht, steht „Orion“ 2016 zur Verfügung. Das bedeutet, dass die Amerikaner bis dahin ohne eigenen bemannten Zugang zum All und somit voll auf die Russen angewiesen sind.
Bis mindestens Mitte des Jahrzehnts ruhen also alle Hoffnungen auf deren „Sojus“-Raumschiffen. Die haben zwar sogar schon über 40 Jahre auf dem Buckel, leisten aber noch immer treue Dienste. Vier solcher Kapseln sollen 2010 zur ISS fliegen, doppelt sovie wie bisher. Hinzu kommen sechs automatische „Progress“-Transporter. Moskau hat bereits Ende November vergangenen Jahres die gesamte Last des Personentransfers zwischen Erde und ISS übernommen und darf sich keine Schwäche erlauben. Sollten die kleinen dreisitzigen Kapseln ausfallen, was der liebe Gott verhindern möge, wird das „Jahrtausendprojekt“ rund 350 Kilometer über der Erde zu einer milliardenschweren Investruine. Allein beim Gütertransport können die Russen nach dem Ende der Shuttle-Ära auf eine willkommene Arbeitsteilung zählen. Hier stehen ihnen Europa und die Japaner mit ihren automatischen Frachtern ATV und HTV zur Seite.
Russland hat ohne jede Häme den mehr oder minder freiwilligen temporären Rückzug der Amerikaner aus der bemannten Raumfahrt zur Kenntnis genommen. Im Gegenteil: Mit großem Verantwortungsbewusstsein bereitet sich das Land darauf vor, die ISS so gut wie möglich am Laufen zu halten. Für diese Aufgabe hat man die „Sojus“-Raumschiffe, deren technische Ressourcen eigentlich auch schon ausgereizt sind, noch einmal aufgerüstet. Ab September sollen sie mit digitaler Steuerung fliegen. Die Russen versprechen sich davon noch mehr Sicherheit, ein geringeres Gewicht und eine höhere Nutzlast. Außerdem soll dadurch der bislang obligatorische Bordingenieur eingespart werden.
Trotz dünner finanzieller Decke ist sich der Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, Anatoli Perminow, sicher, zumindest 2010 erst einmal alle Herausforderungen meistern zu können. Dafür steht ihm allerdings lediglich ein Siebentel des Bugdets der NASA zur Verfügung. Perminows Hauptsorge ist derzeit, ob die Amerikaner bereit sind, den ISS-Vertrag über das Jahr 2015 hinaus bis 2020 zu verlängern. Die endgültige Entscheidung soll nun im März in Japan auf der Jahresberatung der ISS-Partner fallen. Perminow spricht denn auch von einem „Schicksalstreffen“.
(Material für ddp)