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Credit: NASA
Credit: NASA

Berlin/Baikonur, 1. Dezember 2009 — Der krisenbedingte Personalabbau auf der Erde schlägt jetzt auch auf den Weltraum durch. Nach der Rückkehr von Roman Romanenko (Russland), Frank de Winne (ESA/Belgien) und Robert Thirsk (Kanada)  am Dienstagvormittag von ihrer Halbjahresmission  setzt die Internationale Raumstation ISS jetzt ihren Flug mit der Minimalbesatzung von nur noch zwei Astronauten fort. Derzeit halten dort US-Astronaut Jeffrey Williams und seine russischer Kollege Maxim Surajew allein die Stellung. Damit ist der erst Ende Mai groß gefeierte Übergang zu einer ständigen sechsköpfigen Stammbesatzung schon wieder Geschichte.

Das Raumschiff „Sojus TMA-15“ mit Romanenko, de Winne und Thirsk an Bord war um 8.16 Uhr deutscher Zeit 84 Kilometer nördlich der Stadt Arkalyk in der kasachischen Steppe weich gelandet. Wegen der niedrigen Wolkendecke konnten die Bergungsmannschaften aber nicht mit Hubschraubern zum Landeort eilen, teilte die Raumfahrtagentur Roskosmos mit. So seien zuerst Trupps mit geländegängigen Fahrzeugen bei der Kapsel gewesen.

Für den 48-jährigen Belgier war das bereits die zweite erfolgreiche ISS-Mission. Im Oktober/November 2002 war er das erste Mal für  eine Woche da oben und konnte wertvolle Erfahrungen sammeln, die ihm jetzt  bei seiner erheblich anspruchsvolleren  Aufgabe sehr zugute kamen. Als erster Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation ESA war  de Winne nämlich von Anfang Oktober bis zur vergangenen Woche Chef der 21. Stammbesatzung. Bislang war dieser Posten nur  Russen und Amerikanern vorbehalten. Nun  trug man auch der Tatsache Rechnung, dass die ESA mit ihrem Forschungsmodul „Columbus“ und dem automatischen Frachtraumschiff ATV inzwischen zu einem ISS-Partner herangewachsen ist, der mit den „Großen“ auf Augenhöhe agiert.

De Winne, Romanenko und Thirsk haben während ihres Langzeitfluges die Besatzungen von zwei US-Shuttles und eines „Sojus“-Raumschiffes auf der Umlaufbahn begrüßt. Zudem empfingen sie den  ersten japanischen Transporter HTV sowie zwei Frachter und ein neues Forschungsmodul der Russen. Der Belgier absolvierte außerdem ein anspruchsvolles Wissenschaftsprogramm, das nach den Wort der ESA-Direktorin für bemannte Raumfahrt, Simonetta Di Pippo, „ein totaler Erfolg“ war.

Williams und Surajew sind als 22. Stammcrew nicht um ihre Aufgabe zu beneiden. Die beiden haben alle Hände voll zu tun, um die inzwischen auf 345 Tonnen angewachsene Hightech-Röhre mit ihren ungezählten hochkomplizierten Aggregaten am Laufen zu halten. Da bleibt nicht viel Zeit für die Forschung. Erst zu Weihnachten  bekommen sie Verstärkung. Am 21. Dezember machen sich  der Russe Oleg Kotow, der US-Amerikaner Timothy Craemer und der Japaner Soichi Noguchi mit dem Raumschiff „Sojus TMA-17“ zu ihnen auf den Weg. Doch auch dann fehlt immer noch ein Astronaut an der Soll-Stärke.

Die Personalkrise geht auf das Konto der Amerikaner. Präsident George W. Bush hatte nach  der „Columbia“-Katastrophe vom 1. Februar  2003 eine neue zivile Raumfahrtpolitik verkündet, die sein Land „zum Mond, zum Mars und darüber hinaus“ bringen soll. Im Rahmen des „Constellation“-Programms sollen die neuen Trägerraketen „Ares 1“ und „Ares 5“ zusammen mit dem neuen Raumschiff „Orion“ nebst Mondlandefähre „Altair“  die technisch veralteten und sündhaft teuren Space Shuttles ablösen. Allerdings sorgte die Bush-Administration nicht für die adäquate Finanzierung des ehrgeizigen Projekts.

Nach dem derzeitigen Stand der Dinge stehen deshalb die „Ares 1“ und „Orion“ nicht vor 2016 zur Verfügung. Dadurch haben die USA nach Einstellung der Shuttle-Missionen im September  2010 mindestens fünf Jahre lang keinen eigenen bemannten Zugang zum All und sind voll auf die guten Dienste und den guten Willen der Russen angewiesen. Mehr noch: Seit September steht eine  Entscheidung des neuen US-Präsidenten Barack Obama darüber aus,  ob und wie es mit dem Programm überhaupt weitergeht. Dabei muss auch die Frage beantwortet werden, ob die USA sich über das Jahr 2015 hinaus  für die ISS engagieren oder nicht.

Leidtragende dieser Hängepartie sind die Russen. Auf ihren Schultern ruht nun die gesamte Last des Personen- und der Großteil des Güterverkehrs zwischen Erde und ISS. Dazu müssen sie die Zahl der bemannten Missionen auf vier pro Jahr verdoppeln.  Bisher haben sich die Amerikaner erst bis 2012 je einen Platz in den engen „Sojus“-Kapseln gekauft. Was danach geschieht, steht noch in den Sternen. An den „Progress“-Frachtern, deren Startfrequenz ebenfalls erhöht werden muss, wollen sie sich finanziell überhaupt nicht beteiligen.

Diese Zögerlichkeit Washingtons ist natürlich Wasser auf die Mühlen der ISS-Kritiker in Russland.  Diese zweifeln generell den Nutzen der Station an, die den Löwenanteil des ohnehin knappen russischen Weltraumhaushalts verschlingt. Dadurch gerät ihrer Meinung nach das nationale Programm sträflich ins Hintertreffen. Erst dieser Tage hat Zweifachkosmonaut Michail Tjurin in einem Interview beklagt, seinem Lande fehle es in der Raumfahrt an
„Systematik“. Das zeige sich darin, dass es wie schon  bei der MIR auch in der ISS keine  entsprechende wissenschaftliche Aufgabenstellung gebe.  Die laufenden  Experimente im russischen Segment seien „Laborarbeiten für Erstsemestler“, sagte Tjurin. Und auch der Nachfolger der über  40 Jahre alten „Sojus“-Kapseln werde „bar jeder Konzeption“ projektiert. Er nehme sich aus wie eine Mischung aus einer „Asphaltiermaschine“ und einem „Formel 1-Boliden“.

(Material für ddp)

Von admin