Berlin, 8. April 2011 — Mit seiner historischen Erdumkreisung vom 12. April 1961 hat der russische Bauernsohn Juri Gagarin das Zeitalter der bemannten Raumfahrt eröffnet und damit einen uralten Menschheitstraum verwirklicht. Natürlich wertete das die damalige Sowjetunion als überwältigenden Beweis der Überlegenheit ihres sozialistischen Systems. Doch das ist heute schon 20 Jahre Geschichte.
Ministerpräsident Wladimir Putin spricht deshalb im 50. Jahr des Fluges lieber von einem der „bedeutendsten Ereignisse“ des vergangenen Jahrhunderts und der menschlichen Zivilisation überhaupt. Was aber über alle ideologischen Schranken hinaus bleibt, ist die Heldentat Gagarins und die wissenschaftlich-technische Meisterleistung der UdSSR nur 16 Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg.
Die erfolgsverwöhnte amerikanische Supermacht hat sich von dem zweiten heftigen Schock nach „Sputnik 1“ (1957) erstaunlich schnell erholt. Sie antwortete auf Gagarin mit einer beispiellosen nationalen Kraftanstrengung. Schon am 25. Mai 1961 sagte Präsident John F. Kennedy, sein Land sollte sich dem Ziel widmen, „noch vor Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zur Erde zurückzubringen“. Kein einziges Weltraumprojekt werde in dieser Zeitspanne die Menschheit mehr beeindrucken oder wichtiger für die Erforschung des entfernteren Weltraums sein. Kennedy behielt Recht. Ihm war es aber nicht vergönnt zu erleben, wie Neil Armstrong am 20. Juli 1969 als erster Mensch seinen Fuß auf den Erdtrabanten setzte. 1963 war der Präsident in Dallas einem Mordanschlag zum Opfer gefallen.
Ohne Gagarins Pioniertat wären die USA sicher nicht so früh zum Mond aufgebrochen. Immerhin hatten sie damals noch nicht einmal einen Astronauten auf eine erdnahe Umlaufbahn geschickt. Erst am 20. Februar 1962 ist John Glenn als erster Amerikaner in seiner „Mercury 6“-Kapsel gestartet.
Die Sowjets konterten 1963 mit Walentina Tereschkowa als erster Frau im All und 1965 mit Alexej Leonow als erstem „Weltraumspaziergänger“. Doch dann wurden sie von den Amerikanern mit dem Mondprogramm Wernher von Brauns von der Führungsposition verdrängt. Der Versuch des Kreml, ebenfalls bemannt zum Mond zu fliegen, scheiterte jedoch. Vier Startersuche ihrer Trägerrakete „N-1“ endeten im Desaster, weil mit Chefkonstrukteur Sergej Koroljow (1907-66) der Spiritus Rector aller sowjetischen Raumfahrterfolge unerwartet gestorben war. Seither zehrt das Land von der Substanz.
Das soll nun anders werden. Nach langer Durststrecke will Russland das Jubiläum nutzen, um verlorengegangenes Terrain zurückzugewinnen. Dafür werden 2011 knapp drei Milliarden Euro investiert. Bei 48 Starts sollen vier bemannte und fünf unbemannte Raumschiffe sowie rund 50 Satelliten ins All geschossen werden. Zudem wird am Amur mit dem Bau eines neuen Kosmodroms für die künftigen Rus-M-Trägerraketen und -Raumschiffe begonnen, die hier aber frühestens 2018 bemannt aufsteigen können. Bis dahin müssen noch die legendären „Sojus“-Kapseln bei der Versorgung der Internationalen Raumstation ISS durchhalten, die schon seit 1967 fliegen. Sie sind inzwischen Hoffnungsträger und Symbol technischer Stagnation gleichermaßen – trotz ständiger Modernisierung.
Mit der Einstellung des US-Shuttle-Programms im Sommer dieses Jahre hoffen die Russen, zusätzlichen Schub für den Sturm zurück an die Spitze zu bekommen. Doch namhafte Experten warnen vor zu viel Optimismus, weil sie vor allem eine strategische Konzeption vermissen. Der einzige noch lebende Stellvertreter Koroljows, Boris Tschertok (99), erinnert zudem daran, dass die USA auch ohne die Fähren noch ein Vielfaches mehr in die Raumfahrt stecken und sich dadurch auf absehbare Zeit die Führungsrolle sichern. Er schlägt deshalb vor, sich mit Indien und Kasachstan zu verbünden, um mit den USA und China auf Augenhöhe zusammenarbeiten zu können.
(für dapd)