Moskau, 15. April 2024 – Der Wissenschaftliche Leiter des Instituts für Raumfahrtpolitik, Iwan Moissejew, geht mit der russischen Raumfahrt hart ins Gericht. Das erste Land, das sich mit der Erschließung des Weltraums befasst habe, könne nur noch auf seine Geschichte stolz sein. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts habe man keine ernstzunehmende Errungenschaft mehr vorzuweisen, sondern falle „bei allen Kennziffern stabil zurück“, sagte er in einem Interview mit БИЗНЕС Online zum Tag der Raumfahrt 2024. An den Weltraum denke man in Russland heute nur noch vor dem 12. April, danach aber vergesse man ihn wieder. Es gebe in diesem Bereich nichts mehr, womit man sich brüsten könne. Der letzte wesentliche Beitrag sei 1998 der Baubeginn der Internationalen Raumstation ISS gewesen. Die USA, China, Europa und Indien dagegen seien überall auf dem Vormarsch.
Die Ursache für das Dilemma sei, dass es keine effektive Leitungsstruktur für den Bereich mit 180.000 Mitarbeitern gebe, betonte Moissejew. Die Raumfahrtbehörde GK Roskosmos sei eine große Firma, die sich auch mit kommerziellen Fragen befassen müsse, bei der es aber an einer Kontrolle in der Regierung und in den Präsidialstrukturen fehle. Dadurch würden alle Pläne immer wieder hinausgezögert wie etwa bei der neuen Russischen Orbitalstation ROS.
Der Wissenschaftler beklagte auch, dass sich China in der bilateralen Zusammenarbeit „kühl“ verhalte. Das Land betrachte Russland als „kleinen Bruder“ und kooperiere nur dort, wo das für es von Nutzen sei. Das sei in der Raumfahrt nicht der Fall. Auch Indien „brennt nicht nach dem Wunsch, mit uns zu kooperieren“, fügte er hinzu. Zudem habe Russland in den Beziehungen zu den USA selbst „viel Porzellan zerschlagen“, als ihnen der ehemalige Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin drohte, ihre Astronauten nicht mehr zur ISS zu befördern, so dass die dann auf eine „Wippe“ angewiesen seien. Die Amerikaner hätten daraufhin in Gestalt des Crew Dragon ein eigenes Zubringerraumschiff gebaut. Nur durch diesen einen Satz habe Russland Milliarden Dollar verloren, konstatierte Moissejew. Außerdem habe man durch die Schließung des Startplatzes in Kourou in Französisch-Guyana eine halbe Milliarde Euro pro Jahr eingebüßt. Dabei habe es sich aber nicht um Sanktionen, sondern um Gegensanktionen gehandelt.