Frankfurt, 28. Mai 2022 – Die Ökonomisierung und Militarisierung des Weltalls stehen im Fokus des neuen Buchs „Kampf ums All“, das in der UNO-Denkfabrik Diplomatic Council erschienen ist. Auf 260 Seiten erklärt sein Autor Andreas Dripke, wie „Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk den Weltraum erobern und welche Rolle die NASA, die ESA, Russland und China“ dabei spielen – so der lange Untertitel. In der Tat beleuchtet Dripke fast alle Aspekte der Raumfahrt von den ersten Anfängen bis zur geplanten Besiedelung des Mars.
Dabei folgt das Buch der These, dass die USA den Weltraum mit Hilfe amerikanischer Unternehmen für sich vereinnahmen wollen, weil sie ihn strategisch, wirtschaftlich und militärisch als überaus wichtig für ihre künftige Vormachtstellung auf der Erde und im All einstufen. Hierzu hätten sie unter dem Namen Artemis Accords ein Regelwerk für die moderne Raumfahrt erarbeitet, von dem sie erwarten, dass es von der internationalen Staatengemeinschaft wie selbstverständlich akzeptiert werde. Länder und Unternehmen, die sich dem US-Diktat nicht unterwerfen, würden vom Artemis-Programm, dem amerikanischen Weg zum Mond, zum Mars und darüber hinaus, ausgeschlossen, heißt es beispielsweise. China und Russland seien per se außen vor und hätten als Reaktion bereits eine engere Zusammenarbeit im Weltraum vereinbart. Das US-Regelwerk verstoße nämlich an entscheidenden Stellen gegen Sinn und Wortlaut des Weltraumvertrags der Vereinten Nationen. So sähen die Artemis Accords die Inbesitznahme und Verteidigung von Gebieten auf dem Mond oder dem Mars vor, was im UNO-Vertragswerk ausdrücklich abgelehnt werde.
Das Buch zieht zum Vorgehen der USA im All zwei Vergleiche: mit der Eroberung des amerikanischen Kontinents durch Siedler aus Europa seit dem 17. Jahrhundert und mit der Dominanz der US-Digitalkonzerne in der modernen Computerwelt. Der Autor geht von einer symbiotischen Entwicklung bei der Eroberung des Weltraums aus: Die US-Regierung gewähre die Rahmenbedingungen und den militärischen Schutz, während sich die amerikanische Wirtschaft daranmache, die Ressourcen im All unter ihre Fittiche und neue Geschäftsmodelle wie den Weltraumtourismus auf den Weg zu bringen.
Elon Musks Weltraumfirmen SpaceX und Starlink stehen dabei exemplarisch für die unternehmerische Seite dieser „Public-Private-Partnership“, betont der Autor. Diese folge der Erkenntnis, dass Unternehmen schneller, flexibler und kostenbewusster agieren als nationale Weltraumbehörden wie etwa die NASA. Für die Besiedelung des Weltraums sei es von entscheidender Bedeutung, möglichst große Nutzlasten zu minimalen Kosten ins All befördern zu können. SpaceX habe diesbezüglich bereits heute mit der Trägerrakete Falcon Heavy die Nase vorn und sei dabei, sich mit dem geplanten Raketenraumschiff Starship die Pole-Position für Missionen und Versorgungsflüge in Richtung Mars zu sichern. Als ernsthafter Konkurrent ums All wird in dem Buch Jeff Bezos eingestuft. Während Musk seine Pläne häufig schon Jahre vorher lautstark angekündigt habe, gehe Bezos erst an die Öffentlichkeit, wenn alles fix und fertig funktioniere.
Die Rolle Europas in der Raumfahrt wird in dem Buch als bescheiden eingestuft. Ohne einen eigenen Weltraumbahnhof auf dem Kontinent sei man auf amerikanische Hilfe angewiesen, zumal die zuvor genutzten russischen Startgelegenheiten mit dem Ukraine-Krieg weggefallen seien. Immerhin gebe es viele Marktnischen, in denen die europäische Raumfahrt Fuß fassen könnte. So wolle die ESA das Schrottsammeln im All als neuen kommerziellen Sektor der Raumfahrtindustrie entwickeln. Daneben gelte auch der Start von Kleinraketen zur Beförderung von Kleinstsatelliten als lukrative Nische für europäische Weltraumfirmen. In Planung sei sogar ein Weltraumbahnhof in der Nordsee für dieses im wahrsten Sinne des Wortes kleinteilige Geschäft.
Der seit 2021 amtierende ESA-Chef Josef Aschbacher habe bereits eingestanden, dass Europa im Raketenbereich ins „Hintertreffen“ geraten sei, schreibt Dripke. Vor allem privatwirtschaftliche US-Unternehmen wie SpaceX machten der europäischen Raumfahrt massiv Konkurrenz. Die US-Raumfahrtbehörde NASA habe private Unternehmen – anders als in Europa – sehr gefördert. Ob dieser Vorsprung überhaupt noch aufzuholen sei, steht in den Sternen, gibt sich das Buch skeptisch. Wahrscheinlich werde die europäische Raumfahrt eher zu einem „Anhängsel“ der US-Aktivitäten verkümmern, wobei die Abhängigkeit mit Worthülsen wie „Partnerschaft“ verbrämt werde.
Als Beleg für den „absoluten Machtanspruch der USA auf das Weltall“ wird in dem Buch unter anderem die Gründung der US Space Force angeführt. Die Angehörigen der Weltraumstreitkräfte, die Guardians, sollen ab 2025 das Gebiet zwischen Erde und Mond lückenlos überwachen. Dies komme einer Ausweitung der Reichweite gegenüber der heutigen Überwachung durch geostationäre Satelliten etwa um das Tausendfache gleich. Bereits 2021 habe das westliche Militärbündnis NATO klargestellt, dass Angriffe im All, etwa auf Satelliten eines Landes, den Bündnisfall auslösen, also als Attacke auf alle im Bündnis zusammengeschlossenen Staaten gewertet werden.
ISBN 978-3-98674-014-6
(c) Gerhard Kowalski