Berlin/Paris – Der ganz große Ansturm bei der Suche nach neuen Kandidaten für Europas überaltertes Astronauten-Korps ist ausgeblieben. Die Europäische Weltraumorganisation ESA hatte eigentlich mit wesentlich mehr Bewerbungen bei ihrer Ausschreibung gerechnet. Schließlich winken der Aufstieg in einen Elite-Zirkel von weltweit nur knapp 500 Mitgliedern und gute Chancen auf einen Flug zur Internationalen Raumstation ISS oder vielleicht sogar zum Mond. Doch nun haben sich nur knapp 10 000 Frauen und Männer, darunter fast 1800 Deutsche, beworben, die sich auf den langen und dornigen Weg ins All machen wollen. Die ESA gibt sich dennoch mit ihrer zweiten Ausschreibung nach 1992 sehr zufrieden, deren Ergebnisse seit Dienstag vorliegen. „Wir haben nun eine große Zahl höchst qualifizierter Bewerber“, sagte der Chef des in Köln beheimateten Europäischen Astronautenzentrums (EAC), Michel Tognini. Er sei überzeugt, dass „wir jene herausragenden Persönlichkeiten finden“, die gesucht würden. Das werde sich bei den nächsten Auswahlschritten zeigen, die mit ersten psychologischen Tests beginnen.
Deutschland stellt mit 1798 Bewerbern und damit 21,4 Prozent das nach Frankreich (1860/22,1 Prozent) zweithöchste Kontingent. Mit 310 Frauen liegt es sogar auf Platz eins vor dem westlichen Nachbarn mit nur 302 Bewerberinnen. Ein weiteres interessantes Detail: 35 der Bewerber haben die deutsche Staatsbürgerschaft als Zweitstaatsbürgerschaft.
Der ESA-Direktor für bemannte Raumflüge, Simonetta Di Pippo, freut sich vor allem darüber, dass man so viele Bewerbungen aus durchweg allen 17 ESA-Mitgliedsländern erhalten habe. Das zeige, dass das große Engagement der ESA und ihrer Mitglieder für die bemannte Raumfahrt und Forschung mehr als 15 Jahre nach der ersten Ausschreibung auf ebenso großes Interesse aller Bürger des Kontinent stoße.
Die Ausschreibung hatte am 19. Mai begonnen und dauerte einen Monat. 8413 Kandidaten haben das erforderliche medizinische Gutachten eingereicht und das Online-Bewebungsformular ausgefüllt, geht aus dem ESA-Bericht hervor. Nahezu jede sechste Bewerbung (16 Prozent) kam von einer Frau. Nach Deutschland liegt Italien mit 927
Kandidaten, davon 151 Frauen, auf dem dritten Platz, gefolgt von Großbritannien mit 822 (davon 167 Frauen) und Spanien mit 789 (davon 103 Frauen). 72 Kandidaten haben sich aus Nicht-ESA-Ländern gemeldet.
Die Chancen, einen neuen Astronauten zu stellen, sind für alle Länder gleich, denn nur die Qalität der Bewerber zählt. Gesucht werden Persönlichkeiten mit abgeschlossenem Studium etwa in Lebenswissenschaften, Physik, Chemie oder Medizin und herausragenden Fähigkeiten in Forschung und Anwendung. Sie müssen zudem fließend Englisch und nach Möglichkeit auch Russisch sprechen sowie flexibel, teamfähig und emotional gefestigt sein, wie es der deutsche Astronaut Gerhard Thiele formulierte. Zudem müssen sie ärztliche Atteste wie Privatpiloten vorlegen.
Wer schließlich nach ungezählten Tests diese hohen Hürden gemeistert hat, wird erst 2009 bekannt gegeben. Erst dann wissen wir auch, ob Deutschland dabei ist. Sollte das sein, wäre es wünschenswert, dass eine Frau das Rennen macht. Denn Deutschland hatte bisher nur zehn Männer im All. Der erste war DDR-Bürger Sigmund Jähn, der 1978 mit den Russen zur Raumstation „Salut 6“ flog. Fünf Jahre später war Ulf Merbold als erster Westdeutscher mit einem US-Shuttle im All. Merbold hat danach noch je einen Flug mit den Amerikanern und den Russen absolviert und ist damit der einzige deutsche Dreifach-Astronaut. Thomas Reiter und Hans Schlegel haben je zwei Flüge auf dem Konto. Es ist also höchste Zeit, dass eine Dame in diese Phalanx einbricht.
(Veröffentlicht am 24. Juni 2008)