Berlin/Moskau — Rechtzeitig vor dem 75. Geburtstag von Juri Gagarin (1934-68) am 9. März hat Russland eines der letzten Geheimnisse um den ersten Kosmonauten der Welt gelüftet. In einem jetzt veröffentlichten Band mit bislang geheimen Dokumenten zur Geschichte der Sowjetraumfahrt in den Jahren 1946-1964 wird erstmals im Detail aufgelistet, womit sich der Kreml neben dem obligatorischen „Goldenen Stern“ eines „Helden der Sowjetunion“ bei Gagarin für dessen historischen Raumflug vom 12. April 1961 bedankt hat. Die Liste liest sich wie der Katalog eines Versandhauses. Der Vermerk „sekretno“ (geheim) erscheint deshalb aus heutiger Sicht absurd. Denn es geht hier keineswegs um Staatsgeheimnisse. Eher handelt es sich um einen peinlichen Beleg für die Mangelwirtschaft in der UdSSR, der in den Archiven verschwinden musste, um dem „Klassenfeind“ in der politischen Auseinandersetzung nicht noch zusätzlich Munition zu liefern. Denn viele der aufgeführten Dinge gab es oft in normalen Geschäften nicht oder nur sehr selten.
In der Sowjetunion war es ein offenes Geheimnis, dass die Kosmonauten viele Privilegien hatten. Das ganze Volk war aber stolz auf seine Kosmoshelden und gönnte sie ihnen durchaus. Immerhin haben die Himmelsstürmer dem Land international mehr Ruhm und Ehre eingebracht, als seine Berufsdiplomaten. Im allgemeinen Verständnis bewegten sich die Privilegien zudem im Rahmen der Vorteile, die auch andere „Helden der Sowjetunion“ genossen wie kostenlose Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel , höhere Renten, Mietfreiheit, bevorzugte Abfertigung in Geschäften und Einrichtungen, Sonderversorgung sowie einen Erholungsurlaub pro Jahr.
Doch welches materielle Füllhorn wirklich über Gagarin und seine Familie ausgeschüttet wurde, wird erst in dem Dokumentenband enthüllt. So zeichnete der Ministerrat der UdSSR laut Beschluss vom 13. April 1961 Gagarin für die „vorbildliche Erfüllung“ des Raumfluges und den dabei bewiesenen „Heldenmut“ mit einer Geldprämie in Höhe von 15 000 Rubeln aus. Das entsprach damals dem Vielfachen seines Solds. Am 18. April schließlich verabschiedete das Gremium unter Ministerpräsident Nikita Chruschtschow eine „Verfügung“ über „Geschenke“ für Gagarin. Auf Kosten eines „Reservefonds“ erhielt er einen Personenkraftwagen des Typs „Wolga“, eine komplett eingerichtete Wohnung mit Küche, Wohn-, Kinder-, Schlaf- und Arbeitszimmer samt „Rubin“-Fernseher, Radio, Kühlschrank, Waschmaschine, Staubsauger, Teppichen, Bettwäsche und Klavier.
Im seinem persönlichen Kleiderschrank fand Gagarin unter anderem drei Mäntel, zwei Anzüge, zwei Paar Schuhe, zwei Hüte, sechs weiße Hemden, sechs Paar Socken, sechs Garnituren Unterwäsche, zwölf Taschentücher, sechs Krawatten, ein Paar Handschuhe sowie eine Dienst- und eine Paradeuniform vor.
Gagarins Frau Walentina konnte sich unter anderem über drei Mäntel und drei Kleider, ein schwarzes Kostüm, zwei Hüte, sechs Garnituren Unterwäsche, drei Paar Schuhe, zwei Handtaschen, zwei Paar Handschuhe und zwei Blusen freuen. Auch an die beiden Mädchen hatte man gedacht – bis hin zu Puppen und anderem Spielzeug. Für das junge Paar, das bis zur Aufnahme Gagarins ins Kosmonautenkorps in seiner Garnison am Polarkreis mit Tochter Jelena ein Zimmer in einem Offiziersheim bewohnte, war das sicher der Himmel auf Erden.
Die Eltern des Kosmonauten, die in einem Dorf bei Smolensk lebten, bekamen ein Haus mit drei Zimmern sowie auch eine komplette Wäscheausrüstung. Selbst die Schwester und die beiden Brüder Gagarins wurden nicht vergessen. Sie erhielten jede 1000 Rubel.
Gagarins Witwe lebt heute noch in der Wohnung im „Sternenstädtchen“ vor den Toren Moskaus. Nach dem tödlichen Absturz ihres Mannes bei einem Trainingsflug am 27. März 1968 hat sie sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Von ihrem Balkon im 5. Stock kann sie ihn aber täglich sehen – in Bronze gegossen auf einem Sockel, vor dem in diesen Tagen besonders viele Blumen leuchten.
(Veröffentlicht am 5. März 2009)