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Credit: NASA

Berlin/Koroljow, 26. September 2014 — Großes Aufatmen im russischen Flugleitzentrum (ZUP) und in der Internationalen Raumstation ISS. Trotz einer Panne ist die 41. Stammbesatzung seit Freitag morgen wieder komplett. Mit der Ankunft von Jelena Serowa, Alexander Samokutjajew (beide Russland) und Barry Wilmore (USA) hat die Crew erneut ihre Soll-Stärke. In den letzten beiden Wochen hatten der Russe Maxim Surajew, der Amerikaner Reid Wiseman und der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst allein in der Station gearbeitet.

Einige Zeit sah es so aus, als würde das Kopplungsmanöver nicht nach dem Sechs-Stunden-Schnellschema stattfinden können. Denn nach dem Start von „Sojus TMA-14M“ am Donnerstagabend um 22.25 Uhr deutscher Zeit vom Kosmodrom Baikonur (Kasachstan) hatte sich eine der beiden Sonnenbatterien nicht geöffnet. Notfalls hätte man deshalb auf das alte Zwei-Tage-Schema umstellen müssen, das als Reserve dient. Doch dann entfaltete sich das zweite Sonnensegel doch noch „in voller Schönheit“, wie Samokutjajew meldete. Und so gelang die automatische Kopplung reibungslos am Freitag morgen um 4.11 Uhr – und damit sogar vier Minuten früher als geplant. Die Freude darüber war natürlich riesengroß. „Wir sind erleichtert“, atmete ein Sprecher des Flugleitzentrums (ZUP) in Koroljow bei Moskau nach dem Manöver auf.
Nach dem Umstieg kurz nach 7.00 Uhr wurden die Neuankömmlinge mit großem Hallo in der Station begrüßt – allen voran Jelena Serowa. Dann formierte man sich zum Gruppenbild mit Dame. Denn mit ihr ist nach 17 Jahren Unterbrechung wieder eine Russin im All. Außerdem ist die nunmehr vierte Kosmonautin auch die erste Russin in der ISS überhaupt. Vor ihr waren bereits 31 Frauen in der Station, davon 27 Amerikanerinnen – kein Ruhmesblatt für die Raumfahrtnation, die einst mit Gagarin immerhin den ersten Menschen ins All geschickt hat. Die bisher letzte Frau, die die Männerwirtschaft  in der ISS aufgemischt hat, war vor einem Jahr die Amerikanerin Karen Nyberg.
Samokutjajew, Serowa und Wilmore steht bei ihrem 168-Tage-Flug ein umfangreiches Arbeitsprogramm bevor. So müssen sie rund 50 wissenschaftliche Experimente durchführen, mindestens drei Frachtraumschiffe abfertigen und eine große Reinemache-Aktion durchführen. Dabei müssen sie die Station innen und außen entrümpeln und ausgediente Dinge entsorgen. Samokutjajew und Surajew unternehmen dafür sogar einen Ausstieg in den freien Raum.
Die 38-jährige Diplom-Ökonomin und -Informatikerin ist seit sieben Jahren im russischen Kosmonautenkorps und hat sich in den letzten beiden Jahren intensiv auf ihre Weltraumpremiere vorbereitet. Unterstützt wurde sie dabei auch von ihrem Mann Mark, der ebenfalls Kosmonaut werden will. Der Ingenieur im Raumfahrtkonzern „Energija“ arbeitet derzeit am „Sojus“-Nachfolger und hofft, einmal das  neue und größere Raumschiff persönlich testen zu können. Jetzt muss er sich erst einmal Gedanken machen, wie es zu der Panne kommen konnte, die die Russen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt traf. Denn sie wollen am Sonntag nach der Mai-Havarie auch wieder die „Proton“-Starts aufnehmen. Doch glücklicherweise ist alles glimpflich abgegangen.
Übrigens bereitete die eher schmächtige Kosmonautin, die aus der Umlaufbahn auch einmal in einem kleinen Crash-Kurs zeigen will, dass man langes Haar selbst in der Schwerelosigkeit problemlos waschen kann, den Experten einiges Kopfzerbrechen. Weil sie wesentlich weniger wiegt als ihre männlichen Kollegen und nicht in der Mitte sitzt, wo der Kommandant seinen Platz hat, musste das Raumschiff besonders sorgfältig ausbalanciert und zentriert werden.
Reklame für die Schwimm-WM
Für Samokutjajew ist dies die zweite ISS-Mission. Ihm war 2011 die Ehre zuteil geworden, als Kommandant des Raumschiffes „Sojus TMA-21“ zu fungieren, das zum 50. Jahrestag des historischen Fluges von Juri Gagarin auch dessen Namen und Porträt trug. Dennoch sieht der erfahrene Kosmonaut diesen Flug auch als eine Premiere an. Denn zum ersten Mal steuert er ein digitales Raumschiff der TMA-M-Klasse. Dafür habe er viel Neues lernen müssen, vor allem Mathematik, sagte er vor dem Start.
Offenbar als Reaktion auf die internationalen Sanktionen trugen Samokutjajew und Serowa in der letzten Vorbereitungsphase demonstrativ Overalls mit dem Emblem  der 16. Schwimmweltmeisterschaften, die 2015 in der Wolga-Stadt Kasan stattfinden. Damit und mit einer Reklame-Bauchbinde um die Rakete selbst solle auf dieses Großereignis aufmerksam gemacht werden, sagte Samokutjajew. Außerdem habe er einen kleinen Flakon mit Wasser aus Kasan im Gepäck, der – wie Anfang des Jahres die Fackel der Olympischen Winterspiele von Sotschi  – wieder auf die Erde zurückgebracht werde. Diese Aufgabe habe Surajew übernommen, der am 10. November mit Wiseman und Gerst in Kasachstam landen werde. Serowa unterstützte ihren Landsmann agitatorisch, indem sie darauf verwies, dass Schwimmen ein wesentlicher Bestandteil des Kosmonauten-Trainings sei.
Auf die Frage, welches Verhältnis er denn zu Wasser habe, antwortete Wilmore verschmitzt: „Ich bin dick und schwimme somit immer oben.“ Für den Amerikaner ist dies auch schon die zweite Mission zur ISS. Die erste hatte er 2009 mit einem Shuttle absolviert. Diesmal habe er sich ehrlich bemüht, so gut Russisch wie nur möglich zu lernen, sagte er. Und Samokutjajew fügte anerkennend hinzu, dass Wilmore sogar ein Gedicht des großen russischen Dichters Michail Lermontow gelernt habe. Der Grund: Der Funk-Code des Trios lautet: Tarchan – zur Erinnerung  an das Staatliche Lermontow-Naturparkmuseum in Tarchany bei Pensa, wo Samokutjajew geboren wurde.
Die fünfte Kosmonautin trainiert bereits
Die bislang letzte russische Kosmonautin im All war Jelena Kondakowa. Die Ehefrau des Vierfach-Kosmonauten Waleri Rjumin arbeitete 1994 und 1997 insgesamt 178 Tage in der Raumstation MIR. Als erste Frau überhaupt war Walentina Tereschkowa 1963 mit einer „Wostok“-Kapsel in den Weltraum geflogen. Da sie dabei nicht alle Programmpunkte zur Zufriedenheit von Chefkonstrukteur Sergej Koroljow erfüllte, wurde das weibliche Kosmonauten-Korps danach kurzerhand aufgelöst. Erst 1982 wurde mit Swetlana Sawizkaja, der Tochter eines berühmten Fliegergenerals, die zweite Russin auf die Umlaufbahn geschickt.
Inzwischen bereitet sich im „Sternenstädtchen“ mit Anna Kikina die fünfte Russin auf einen Einsatz vor. Der könnte in drei oder vier Jahren erfolgen, teilte der Chef des 
Kosmonauten-Ausbildungszentrums (ZPK) „Juri Gagarin“, Juri Lontschakow, kürzlich mit. Kurios an der Ankündigung ist, dass Kikina im Juni trotz eines erfolgreich bestandenen Examens zuerst nicht in den Kreis der Kosmonauten-Kandidaten aufgenommen worden war. Später wurde die Entscheidung dann klammheimlich revidiert.

(c) Gerhard Kowalski