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Berlin, 29. Mai 2014 — Er ist nach Juri Gagarin der wohl legendärste russische Kosmonaut: Alexej Archipowitsch Leonow. Am 18. März 1965 ging er als erster „Weltraumspaziergänger“ über Nacht wie sein großer Landsmann in die Geschichte ein.

Der Blonde, wie er wegen seiner Haarfarbe genannt wurde, verließ sein Raumschiff  „Woßchod 2“ für 20 Minuten und verbrachte dabei 12 Minuten und 9 Sekunden außerhalb der Schleusenkammer im freien Weltraum. Nur mit einer Sicherungs- und Versorgungsleine verbunden, entfernte er sich, purzelbaumschlagend, 5 Meter von der Schleuse. Die Bilder gingen um die Welt. Dass er dabei haarscharf am Tode verbeischrammte, verriet die Sowjetpropaganda erst Jahrzehnte später.

Sojus-Apollo-Test-Projekt macht wieder Schlagzeilen

In den letzten Tagen macht Leonow erneut weltweit Schlagzeilen, ohne dass allerdings sein Namen fällt. Angesichts der US-Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise, die auch die Zusammenarbeit in der Internationalen Raumstationen ISS zu gefährden drohen, wird immer wieder auf das Sojus-Apollo-Testprojekt (SATP) vom Juli 1975 verwiesen. Damals, in der Zeit des Kalten Krieges, trafen sich drei Amerikaner und zwei Russen – Leonow und sein inzwischen verstorbener Freund Waleri Kubassow – zum Shakehands auf der Umlaufbahn.

Im Grunde ging es darum, ein System zu schaffen, um sich im Notfall gegenseitig im Weltraum zu Hilfe zu kommen. Aber wegen der im Zuge des Helsinki-Prozesses eingeleiteten Politik der friedlichen Koexistenz gewann diese Geste enorme symbolische Bedeutung. Denn das Unternehmen zeigte, dass man auch in schwierigen Zeiten zusammenarbeiten kann, wenn  man nur will.

Kopplung über Torgau?

Ich berichtete in diesen Juli-Tagen als Moskauer Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN ausführlich über das Testprojekt. Dabei kam es zu einer denkwürdigen Episode: Ein DDR-Kollege wollte erfahren haben, dass sich die Kopplung zwischen der „Apollo“-Kapsel und dem „Sojus“-Raumschiff just über Torgau an der Elbe vollzogen habe, wo es 1945 zu der historischen Begegnung zwischen der Roten und der US-Armee gekommen war.

Alle unsere Einwände, dass die Raumschiffe mit 28.000 Stundenkilometern unterwegs seien und der Prozess nach offiziellen Angaben irgendwo zwischen der Biskaya und dem Ural stattgefunden habe, fruchteten nichts.

Der Mann schickte seinen Bericht nach Ost-Berlin. Und als er ihn später doch zurückziehen wollte, weil er kalte Füße bekam, blieb das Fernschreiben in der Rohrpost der Redaktion stecken und erreicht so seinen Adressaten nicht. Insofern hatte die DDR wieder mal ihre weltpolitische Bedeutung als Ort historischer Begegnungen bewiesen.

Damals wurde übrigens in der Sowjetunion zum ersten Mal ein „Sojus“-Start live übertragen, wenn auch nur in das SATP-Pressezentrum im Hotel „Intourist“ an der Gorki-Straße (heute Twerskaja Uliza), das Hunderte Journalisten aus aller Welt bevölkerten. Zudem durften Ausländer das erste Mal auch in das heute weltberühmte Flugleitzentrum (ZUP) im damaligen Kaliningrad (heute: Koroljow) vor den Toren Moskaus, von wo  die „Sojus“-Raumschiffe, so auch das von Alexander Gerst in der vergangenen Nacht, und das russische ISS-Segment gesteuert werden.

Warum Leonow, der eigentlich die Öffentlichkeit liebt, sich noch nicht zu den aktuellen Ereignissen geäußert hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass er schon seit vielen Jahren ernsthafte Herzprobleme hat.

Viermal dem Tod von der Schippe gesprungen

Doch zurück zum 18. März 1965. Als Leonow nach dem Ausflug wieder in die Luftschleuse zurückklettern wollte, zeigte sich, dass sie zu eng war. Sein Raumanzug hatte sich nämlich aufgebläht. Er ließ deshalb kurzerhand ein bisschen Luft ab und rettete sich schließlich in letzter Minute und mit den letzten Sauerstoffreserven in das Raumschiff.

Das war das erste, aber nicht das letzte  Mal, dass Leonow dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Schon bei der Landung von „Woßchod 2“ hatten er und sein Freund Pawel Beljajew erneut eine lebensgefährliche Situation zu meistern, als die Automatik versagte. Die Männer landeten schließlich in der tief verschneiten Taiga und konnten erst nach zwei Tagen geborgen werden.

Beim dritten Mal entging Leonow, der damals als erster Russe auf dem Mond landen sollte, im Januar 1969 nur knapp einem Attentat, das eigentlich Parteichef Leonid Breshnew galt. Dabei kam der Fahrer des Wagens ums Leben, in dem er, Georgi Beregowoi und das Ehepaar Andrijan Nikolajew/Walentina Tereschkowa saßen.

Das letzte Mal erwies sich Leonow 1971 als “Alexej im Glück“. Wegen einer plötzlichen Erkrankung von Kubassow mussten die Doubles den Flug mit dem Raumschiff “Sojus 11“ antreten. Die drei Männer kamen bei der Landung ums Leben, weil sich ein Frischluftventil zu früh geöffnet hatte. Sicher ist die Tatsache, dass er oft gerade noch einmal der Katastrophe entronnen ist, der Grund für Leonows teils überschäumende Lebensfreude.

Erfolgreich im Big Business

Nach dem Zerfall der UdSSR bewies Leonow Geschäftssinn und  wechselte als erster russischer Kosmonaut in das Big Business. Er wurde Vizepräsident eines US-Investmentfonds und vermarktet auch sonst seinen Namen und Ruhm sehr erfolgreich, was ihm nicht nur Freunde machte. Auch die Familie Gagarin geht inzwischen auf Distanz zu ihm, weil er mit seiner sprühenden Fantasie und Leutseligkeit so manche zweifelhafte Story in Umlauf gebracht hat.

Unverkäuflich sind indes seine vielen Weltraum-Gemälde, die der begnadete Künstler Leonow im Laufe der Jahrzehnte geschaffen hat. Keiner kann wie er die Farben darstellen, die die Erde aus dem Kosmos bietet. Er könne sich einfach von diesen Arbeiten nicht trennen, weil sie ihm so sehr ans Herzen gewachsen seien, sagte der zweifache „Held der Sowjetunion“ einmal. „S dnjom roshdenija, Alexej Archipowitsch, i kosmitcheskovo sdorovija!“

© Gerhard Kowalski