Do. Okt 31st, 2024

Von Gerhard Kowalski

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Credit: Roskosmos

Schon der Titel deutet eher auf eine Love-Story hin, und im Grund genommen ist das Buch auch eine – und eine große dazu. Doch damit nicht genug. Denn das Tagebuch ist darüber hinaus eine einzigartige Chronik in der Geschichte der sowjetischen und russischen Raumfahrt.

Bisher wurde immer mehr oder weniger detailliert  beschreiben, was die Kosmonauten bei ihren Flügen über mehrere Monate hinweg in der Internationalen Raumstation ISS so tun. Nunmehr schildert erstmals die Frau eines Kosmonauten anhand eines minutiös geführten Tagebuches, wie sie, die mit ihren Hoffnungen und Sorgen auf der Erde zurückbleiben musste, diese Zeit er- und überlebt hat. Die Journalistin Julija Nowizkaja wartet dabei mit vielen Einzelheiten auf, die selbst guten Kennern der Raumfahrt bis dato unbekannt waren, und gibt zudem einen bisweilen sehr intimen Einblick in das Seelenleben einer Frau, deren Mann einer nach wie vor lebensgefährlichen Profession nachgeht.

So holt sie sich schon eine gute Woche vor dem Start von Oleg Nowizki (42), seines Landsmannes Jewgeni Tarelkin und des US-Astronauten Kevin Ford am 23. Oktober 2012 mit ihrem Raumschiff „Sojus TMA-06M“ zur ISS den geistigen Beistand des Priesters im „Sternenstädtchen“ vor den Toren Moskaus. Väterchen Iob habe in der Kirche der Kosmonauten-Wohnstadt Anhänger mit dem Symbol der Weltraummission gesegnet, die ihr Mann ihr und Tochter Anja (17) geschenkt hat. „In der Seele wurde es gleich ruhiger“, notiert Julija Nowizkaja unter dem 14. Oktober. Und als sie dann noch erfuhr, dass der Priester auch die Startrampe besucht habe, von der das Trio aufsteigen sollte, sei sie „vollends beruhigt“ gewesen. „Ich war überzeugt, dass alles gelingen wird und der Start erfolgreich verläuft.“ Und das was ja dann auch der Fall.

Ausführlich berichtet die Autorin, wie erstaunlich oft sie, ihre Tochter, viele andere Familienmitglieder und sogar gute Freunde im Flugleitzentrum (ZUP) im nahen Koroljow bei sogenannten Privatkas per Videoverbindung mit ihrem Mann sprechen konnten. Dabei ging es zumeist um die ganz alltäglichen Dinge, die so zu Hause anfielen und wo so manches kaputt gegangen sei, kaum dass der Hausherr die Tür hinter sich zugemacht hatte. Der wiederum zeigte ihr bei filmischen „Rundgängen“ die Station und schilderte seine nicht immer leichte Arbeit rund 400 Kilometer über der Erde. Daneben kann der Leser quasi der Familie über die Schulter gucken, wenn sie auch von zu Hause aus per Handy oder Skype mit ihm kommunizierte und kleinere Bestellungen, etwa „Snickers“, entgegennahm, die dann mit dem nächsten Versorgungsraumschiff nach oben geschickt wurden.

Auch kritische Reflexionen fehlen in dem Tagebuch nicht. So erfährt der Leser ausgerechnet zu Weihnachten, dass Kosmonauten derzeit in Russland umgerechnet nur 1.200 bis 1.900 Euro im Monat verdienen und damit auf dem Niveau eines Fahrers der Moskauer Metro liegen. Überhaupt sei das Prestige der Kosmonauten gegenüber früher erheblich gesunken. Heute erkenne niemand mehr einen Raumfahrer auf der Straße am Gesicht. Dabei sei der Beruf einer der schwersten, den man sich vorstellen könne. Er erfordere ein unablässiges Training und ständiges Lernen. Kosmonauten seien „ewige Studenten“, schreibt sie. Kaum sei ein Flug vorbei, müssten sie sich schon wieder auf den nächsten einstellen und dabei technisch immer auf dem allerneusten Stand sein.

Wie wenig sich das Land Juri Gagarins heute für die Raumfahrt interessiert, hat Julija Nowizkaja auch selbst zu spüren bekommen. Denn sie fand keinen russischen Verlag, der ihr Buch veröffentlichen wollte. Sie wandte sich deshalb an einen Verlag in Belarus, wo ihr Mann geboren ist. Dort half man ihr zwar bei der Herausgabe, und ihr Mann wurde auch beim Besuch seiner alten Heimat wie ein großer Nationalheld gefeiert, obwohl er für Russland startet. Doch offenbar befasste sich auch dort die Presse nur sehr oberflächlich mit dem Thema, denn die Berichterstattung strotzte nur so vor Fehlern, was die Journalistin Julija besonders ärgerte. Viele der Zahlen, Namen und Fakten, die angeführt wurden, stimmten einfach nicht. So wurde ihr Mann auch schon mal fälschlicherweise zum ersten belorussischen Kommandanten der ISS gemacht.

Als Nowizki, Tarelkin und Ford am 16. März 2013 nach 143 Tagen, 16 Stunden und 14 Minuten mit einem Tag Verspätung wegen schlechten Wetters wieder wohlbehalten in der kasachischen Steppe landeten, fiel Julija und Tochter Jana ein riesiger Stein vom Herzen. Im Flugleitzentrum verfolgten sie gebannt vor dem Bildschirm, wie die Männer aus der rußgeschwärzten Kapsel geborgen wurden. „Sie sehen sehr blass aus, doch sie lächeln und antworten auf Fragen“, steht dazu in dem Tagebuch. Schon wenige Stunden später konnten sie den Heimkehrer persönlich in den Arm nehmen, weil er und Tarelkin direkt vom Landeort ins „Sternenstädtchen“ geflogen wurden, um sich dort im Rehabilitationszentrum wieder an die irdische Schwerkraft zu gewöhnen.

Nach Abschluss der Rehabilitation habe ihr Mann zahlreiche Auftritte und Begegnungen mit der Öffentlichkeit gehabt, „die Teil des Kosmonautenberufs sind“, schreibt Julija Nowizkaja im Nachwort ihres Tagebuches. „Denn wenn sie nicht selbst die bemannte Raumfahrt propagieren, woher sollen denn unsere Kinder wissen, dass es einen solchen schweren, romantischen und seltenen Beruf gibt?“

Credit: G. Kowalski

Natürlich habe ich auch Oleg Nowizki, der im Oktober 2013 beim Trägerverein der Deutschen Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz über seine Mission berichtet hat, gefragt, was er von dem Tagebuch hält. Seine Antwort: „Mir haben sowohl die Idee als auch die Umsetzung sehr gut gefallen. Meine Frau hat mir regelmäßig die einzelnen Seiten per Mail an Bord der ISS geschickt. Meine Frau hat einen lockeren Schreibstil, und als ich das gelesen habe, hatte ich das Gefühl, dass Julija bei mir ist und mit mir spricht. Das hat mir irgendwie geholfen, nicht so stark zu empfinden, dass ich weit von zu Hause weg bin.“

Zur Autorin:

Julija Nowizkaja, Jahrgang 1973, hat Philologie studiert. Schon als Schülerin hat sie für die lokale Presse ihrer Geburtsstadt Borissoglebsk (Gebiet Woronesh) geschrieben. Mit der Aufnahme ihres Mannes in das Kosmonautenkorps 2006 begann auch ihre Journalisten-Karriere, wie sie sagt. Heute schreibt sie für die links-patriotische Wochenzeitung „Sawtra“ und andere Publikationen vor allem über Weltraumthemen.

© Gerhard Kowalski