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Credit: Roskosmos
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Berlin/Moskau, 26. Januar 2010 — Ziviler Ungehorsam hat in der Internationalen Raumstation ISS zu einem sensationellen Zuchterfolg geführt. Erstmals in der Geschichte derRaumfahrt ist die Weizensorte „Superkarlik“ (Superzwergweizen) voll in der Schwerelosigkeit ausgereift. Das Saatgut dafür hatte der russische Kosmonaut Maxim Surajew im November als Schmuggelware mit zur ISS gebracht. Er säte die Körner ohne Wissen des Flugleitzentrums in der Bordorangerie aus, wo sich alsbald kräftige Pflanzen bildeten.

Die Wissenschaftler auf der Erde reagierten entsetzt, als sie vor einigen Wochen im Blog Surajews von der „Schwarzaufzucht“  erfuhren. Sie forderten den Kosmonauten unverzüglich auf, die „illegalen“ Pflanzen zu vernichten. Doch der weigerte sich. „Entschuldigen Sie, Genossen Wissenschaftler, aber ich konnte das nicht. Er (der Weizen) wächst so klasse“, schrieb er zur Erklärung und hielt die sattgrünen Halme in die Kamera.

Was sich danach hinter den Kulissen abgespielt hat, ist nicht überliefert. Offenbar hat sich aber der Kosmonaut durchgesetzt, der als erster russischer  Kosmosblogger seine Chefs immer mal wieder durch seine unkonventionelle Art verblüfft. Auch die Wissenschaftler haben in der Zwischenzeit ihre Meinung geändert. „Wir sind mit dem Ergebnis des ´Schmuggels´ sehr zufrieden“, sagte Margarita Lewinskich vom Moskauer Institut für Medizinisch-Biologische  Probleme (IMBP) der  Nachrichtenagentur ITAR-TASS. „Superkarlik“ sei eine „rätselhafte Sorte“. Sie reagiere viel empfindlicher als andere Weizensorten auf Umweltverschmutzung.  Das betreffe vor allem den Äthylenanteil in der Atmosphäre der ISS. So habe man schon zweimal im russischen Orbitalkomplex MIR erfolglos versucht, „Superkarlik“  zu züchten, sagte Lewinskich.

„Irgendetwas hat ihr nicht gefallen.“ Anstelle der Ähren seien „Ungeheuer ohne Körner“ gewachsen. Damals habe man sehr unterschiedliche Halme erhalten, die nur halb so groß wie auf der Erde gewesen seien. Jetzt seien „normale Pflanzen“ entstanden, obwohl sie weniger Körner als die irdischen hätten.

Die unerwarteten Ergebnisse des Privatexperiments von Surajew bescherten den Wissenschaftlern eine wichtige Erkenntnis: Der Äthylenanteil in der ISS-Atmosphäre ist geringer als der in MIR. Deshalb planen die IMBP-Spezialisten jetzt Forschungen auf der Umlaufbahn zur Wechselwirkung zwischen dem Planzenwachstum und der Umweltverschmutzung. Die Ergebnisse sind besonders für die Vorbereitung künftiger interplanetarer Flüge interessant.

„Amateur-Agronom“ Surajew und sein amerikanischer Astronautenkollege Jeffrey Williams kehren nach Abschluss ihrer ISS-Mission am 18. März wieder zur Erde zurück. Mit im Gepäck haben sie dann auch die getrockneten Weizenhalme. Und statt einer Disziplinarstrafe warten jetzt auf Surajew möglicherweise wissenschaftliche Ehren.

(Material für ddp)