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Credit: Roskosmos

Berlin/Moskau, 9. August 2013 — In Russland ist eine heftige Diskussion über die krisengeschüttelte Raumfahrt entbrannt. Unmittelbarer Auslöser ist der Absturz einer Proton-Trägerrakete mit drei Navigationssatelliten Anfang Juli auf dem Kosmodrom Baikonur (Kasachstan). Bei der Auswertung der Ursachen für die Katastrophe kam es zu einer Generaldebatte, die ein erschütterndes Bild vom Zustand der einstigen russischen Vorzeigebranche bot.

Vizepremier Dmitri Rogosin kritisierte in ungewöhnlich scharfer Form die Struktur und Arbeit der Raketen- und Raumfahrtindustrie. Sie habe „keine klaren Ziele“ und  werde „schlecht geleitet“. In den Betrieben herrsche „weiterhin eine niedrige technologische Disziplin“. Bisweilen komme es zu Fällen von „krimineller Nachlässigkeit“, sagte Rogosin mit Blick auf den falschen Einbau von drei Sensoren, was zum Absturz der Proton-Rakete geführt hatte.

Er verglich dabei die dafür Verantwortlichen im Herstellerwerk „Chrunitschew“ mit dem russischen Kosmonauten Andropow in dem US-Katastrophenfilm „Armageddon“. Der Namensvetter  des Ex-KGB- und Parteichefs hatte bei der Rettung der Welt mit seinen US-Kollegen vor dem Asteroiden-Einschlag in der Raumstation mit dem Vorschlaghammer agiert. So müsse es auch gewesen sein, als die Monteure die Sensoren eingesetzt haben, deutete der Vizepremier an.

Rogosin warf auch die Frage nach der Sinnfälligkeit der enormen Ausgaben für die bemannte Raumfahrt auf. Er habe große Hochachtung für die bemannte Raumfahrt und wisse, was es bedeutet habe, das alle zu schaffen. Jetzt aber müssten die Chefs der Raumfahrtagentur Roskosmos die Frage nach dem Warum beantworten. „Wenn wir früher Kosmonauten gestartet haben, um der ganzen Welt zu beweisen, dass unsere Menschen sehr lange auf der Umlaufbahn arbeiten können, so gibt es  heute auch andere praktische Aufgaben in der unbemannten Raumfahrt, die wir lösen müssen.“

Der Vizepremier griff damit ein Thema auf, das schon lange in russischen Raumfahrtkreisen mehr oder minder offen diskutiert wird. Es geht im Wesentlichen darum, ob sich Russland nicht unter Wert verkauft, wenn es im Grunde in der bemannten wie unbemannten Raumfahrt nur als „kosmischer Lohnkutscher“ und nicht als Produzent innovativer Ideen und Erzeugnisse wahrgenommen werde. Die Stimmen, die die Zukunft der bemannten nationalen Raumfahrt in einer eigenen, rein russische Raumstation nach dem voraussichtlichen Ende der ISS 2020 sehen, werden immer lauter und offenbar jetzt auch in der Regierung gehört.

Rogosin beklagte, dass es in der Raketen- und Weltraumbranche an „Menschen mit Erfahrung in der strategischen Planung“ fehle. Als Ausweg aus der Krise regte er die Vereinigung der Luft- und der Raumfahrtindustrie in einer Korporation in Form einer Offenen Aktiengesellschaft anstelle der von Roskosmos vorgeschlagenen Staatlichen Korporation an. Das ermögliche es auch, in der Perspektive nach dem Vorbild der NASA und der ESA private Investoren einzubeziehen.

© Gerhard Kowalski