Berlin, 2. Juli 2013 – Der Proton-Absturz am Dienstagmorgen auf dem Kosmodrom Baikonur in Kasachstan kommt für die russische Raumfahrt zur Unzeit. Just in dem Moment, da die nationale Raumfahrtagentur Roskosmos ihre Ziele bis 2018 formuliert hat und die marode Branche wieder auf Erfolgskurs bringen will, zerschellte die schwere Trägerrakete knapp eine halbe Minute nach ihrem Start am Boden.
600 Tonnen hochtoxischen Treibstoffs produzierten einen gigantischen Feuerball, in dem drei Glonass-Satelliten für Präsident Wladimir Putins Lieblingsprojekt verglühten, das gleichnamige Weltraumnavigationssystem. Wie durch ein Wunder kam kein Mensch ums Leben, als die Rakete rund 2,5 Kilometer vom Startplatz 81 entfernt aufschlug. Der materielle Schaden wird auf 200 Millionen Dollar geschätzt, der ideelle ist noch nicht abzusehen. Experten bangen um das Prestige der einstigen Vorzeigebranche und befürchten die Stornierung von Aufträgen für die Rakete, die seit 1965 bereits 388 Mal gestartet ist.
Experten konstatieren inzwischen mit Erleichterung, dass sich die Giftwolken am Katastrophenort wegen des Regens nicht so richtig ausbreiten konnten. Die Umweltschäden etwa in Form von Vergiftung des Oberf lächenwassers halten sich dadurch offenbar in Grenzen. Dennoch wurde die örtliche Bevölkerung aufgerufen, nur Mineralwasser aus Flaschen oder Leitungswasser zu trinken.
Der Absturz hat auch hohe Wellen in der Kremlführung geschlagen. Präsident Putin lässt sich laufend berichten, und Premier Dmitri Medwedjew verlangte von seinem für das Militär und die Raumfahrt zuständigen Vize Dmitri Rogosin die Vorlage einer Liste der Schuldigen. Das heißt wohl, dass bald Köpfe rollen werden.
Ungewöhnlich zurückhaltend reagiert dagegen Kasachstan, auf dessen Territorium Baikonur liegt. Die Sache sei eine „innere Angelegenheit Russlands“, sagte der Chef der kasachischen Raumfahrtagentur Kaskosmos, Talgat Mussabajew. Schließlich liege die Absturzstelle auf einem Territorium, das Russland von Kasachstan gepachtet habe. Zudem befänden sich keine kasachischen Siedlungen im Bereich der Giftwolken.
Der Ex-Kosmonaut der UdSSR, der nach dem Zerfall des Sowjetimperiums einen sagenhaften Aufstieg in Kasachstan gemacht hat, hat seine ehemaligen Landsleute bisher immer wieder hart attackiert und Millionen für echte oder vermeintliche Umweltschäden erpresst, die durch den Absturz ausgebrannter Raketenstufen oder durch Raketentrümmer nach Fehlstarts verursacht wurden.
Ein Dorn im Auge waren ihm vor allem die Proton-Raketen wegen ihres hochgiftigen Treibstoffs. Nach Abstürzen verhängte Mussabajew immer wieder Startverbote. Erst jüngst setzte er durch, dass bis 2020 die Proton-Starts überhaupt eingestellt werden. Mussabajew sieht sich jetzt in dieser Forderung bestätigt.
Noch sind die Ursachen für das Proton-Desaster nicht bekannt, zumal diesmal nicht die Oberstufen schuld sind, sondern – und das ist eine neue Qualität – offenbar die Rakete selbst versagt hat. Doch unabhängig davon gehen Experten davon aus, dass es sich wohl um den „Faktor Mensch“ handelt.
Denn die Konstruktion der Rakete ist ausgereift und hat sich viele Jahrzehnte bewährt. Die sich häufenden Fehler der vergangenen Zeit können deshalb nur auf Produktionsfehler zurückzuführen sein. Inzwischen hat auch Roskosmos eingeräumt, dass die gesamte mittlere Generation der Facharbeiter fehlt. Die Ursache sind die niedrigen Löhne, die nur rund 900 Euro betragen, und die Weigerung der Uni- und Hochschulabsolventen, nach ihrem Studium in den Raumfahrtschmieden uralte Raketen wie die Proton oder Sojus nachzubauen statt neue zu entwickeln.