Moskau/Berlin, 13. Juni 2013 — Der Weltraumflug von Walentina Tereschkowa vor nunmehr 50 Jahren hätte auch in einer Katastrophe enden können. „Ich wäre fast für immer auf der Umlaufbahn geblieben“, sagte die erste Kosmonautin der Welt auf einer Pressekonferenz im „Sternenstädtchen“ vor den Toren Moskaus am Vorabend ihres großen Jubiläums. Der Grund sei ein Programmierfehler gewesen.
So sei fälschlicherweise für die Landung ihres Raumschiffes Wostok 6 nicht die Absenkung, sondern die Anhebung der Umlaufbahn einprogrammiert worden, sagte die 76-Jährige. Als sie das gemerkt habe, habe Sie Chefkonstrukteur Sergej Koroljow sofort über den Fehler informiert. Am zweiten Flugtag habe sie daraufhin neue Daten erhalten und diese in den Computer eingegeben.
Koroljow habe ihr nach der Landung gesagt: „Tschajetschka (Verkleinerungsform ihres Funk-Codes Tschaika – Möwe), ich bitte Dich, sprich nicht darüber. Und 30 Jahre lang habe ich dieses Geheimnis bewahrt“, bekannte die First Lady des Alls.
Aus heutiger Sicht könnte der Fehler damit auch der wahre Grund für die Verlängerung des Fluges auf drei Tage gewesen sein. Ursprünglich war er nur für einen Tag geplant und sollte dann je nach Verlauf verlängert werden könne.
Der Programmierfehler war indes nicht das einzige Problem, das bei der Mission auftrat, wie wir schon länger wissen. So durfte sie die ganze Zeit über den Skaphander nicht ablegen, dessen Helm alsbald auf ihren Schultern drückte. Am zweiten Tag machte sich zudem ein dumpfer Schmerz im rechten Unterschenkel bemerkbar, der schließlich kaum noch auszuhalten war. Und auch der Juckreiz, den die am Kopf befestigten Sensoren verursachten, machte der Frau sehr zu schaffen.
Hinzu kam, dass ihr die Bordverpflegung nicht gefiel. Statt Schwarzbrot, Kartoffeln und Zwiebeln, wie sie es auf der Erde gewohnt war, habe sie trockene Brotwürfel und Kekse essen müssen. Einmal habe sie sich auch übergeben – allerdings nicht etwa wegen eines revoltierenden Vestibularapparates, sondern eben wegen der Nahrung, wie sie bekannte. All das beeinträchtigte natürlich die Erfüllung des Flugprogramms.
Zu allem Unglück schlug sich Tereschkowa bei ihrer Fallschirmlandung im fernen Altai-Gebiet die Nase an ihrem Helm blau. Der Fleck musste noch schnell überschminkt werden, bevor man die neue Nationalheldin der Obrigkeit und dem jubelnden Volk präsentieren konnte.
Die von Koroljow auferlegte Schweigepflicht, der psychische Stress durch den Programmierfehler sowie die anderen mehr oder weniger großen Probleme bei dem historischen Flug, die viele Jahre geheim bleiben mussten, sind offenbar eine der Hauptursachen, weshalb Walentina Tereschkowa nur höchst selten Interviews gab. Bei vielen Journalisten galt sie deshalb als „zickig“.
Der Chefkonstrukteur warf der Kosmonautin hinter verschlossenen Türen vor, viele seiner Anweisungen nicht oder nur teilweise befolgt zu haben. Das war sicher auch ein Grund dafür, dass das fünfköpfige Frauen-Korps alsbald in aller Stille aufgelöst wurde und erst 19 Jahre später mit Swetlana Sawizkaja die zweite Russin in den Weltraum fliegen durfte.
Seit Walentina Tereschkowa von allen Geheimhaltungspflichten befreit ist, erweist sie sich als eine charmante Dame, die auch stets politisch sehr aktiv war. Die einstige Komsomol-Sekretärin brachte es bis ins ZK der KPdSU und bis zur Vorsitzenden der sowjetischen Freundschaftsgesellschaften mit dem Ausland. In dieser Eigenschaft war sie auch die Chefin ihres Landsmanns Waleri Bykowski, der zeitgleich mit ihr als „kosmischer Bruder“ in Wostok 5 die Erde umkreist hatte (14. – 19. 6.).
Das Jubiläum ihres Freundes, der von 1988 bis 1990 als Direktor das Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur in Ost-Berlin leitete, geht jetzt im Trubel der weltweiten Würdigungen der „First Lady des Alls“ ein wenig unter. Der Dreifach-Flieger, der 1978 auch mit DDR-Kosmonaut Sigmund Jähn unterwegs war, trägt es aber nach dem Motto „Ladies first“ mit Fassung.
Heute sitzt Walentina Tereschkowa für die Putin-Partei in der Staatsduma und ist zugleich Vize-Vorsitzende des Komitees für internationale Angelegenheiten. Sie hat damit auch nach dem Zerfall der Sowjetunion in der Politik kosmische Höhen erreicht.