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St. Petersburg, 7. November 2009 — Russlands Raumfahrt macht sich in die tropischen Gefilde Südamerikas auf. Die ersten beiden „Sojus-ST“-Trägerraketen sind am Samstag mit der MS „Colibri“ unter Kapitän Dominique Puget von St. Petersburg auf den Seeweg zum europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana gebracht worden. In 20 schnellweiße  Container verpackt, schippern sie jetzt zwei Wochen lang über die  Ost- und Nordsee, den Ärmelkanal und den Atlantik zum Zielhafen Kourou.

Doch nicht das schöne Wetter lockt die Russen ins ferne Ausland, sondern die ökonomischen Vorteile von Kourou. Durch die stärkere natürliche Erdbeschleunigung hier am Äquator kann die „Sojus-ST“ bis zu einer Tonne  mehr Nutzlast als zuhause in Baikonur ins All hieven. Allerdings musste der Träger dafür „europäisiert“ und auch tropentauglich gemacht werden. So erhielt er eine französische Sicherheitsapparatur, mit der die Triebwerke bei Kursabweichungen per Hand von der Erde aus abgeschaltet werden können. Dass die Russen so ein automatisches System an Bord haben, ließ die Betreibergesellschaft Arianespace nicht gelten. Sie verwies darauf, dass die Europarakete „Ariane 5“ notfalls per Knopdruck sogar gespengt werden kann. Auch mussten die vier Seitenblöcke der „Sojus-ST“ mit Flutventeilen ausgestattet werden, damit sie schnell im Atlantik versinken, wenn sie ausgebrannt sind, und so den Schiffsverkehr nicht gefährden. Eine dritte Anforderung bestand in der Montage von Radarsensoren für die exakte Flugbahnkontrolle.

Obwohl die Russen über reiche Erfahrungen mit Starts bei 40 Grad minus oder 40 Grad plus haben, mussten sie ihre Kourou-Version auf die ungewohnten tropischen Bedingungen umstellen. Die hohe Luftfeuchtigkeit, die nicht selten zur Vereisung der Tanks führt, die großen Temperaturschwankungen, der enorme Salzgehalt der Luft  und die aggressiven Insekten waren hier die Hauptprobleme. Zudem mussten sie als  neues Element ihrer Startrampe, die sie aus der Heimat mitgebracht haben, einen geschlossenen Bedienungsturm bauen. Er ist erforderlich, um die empfindliche Rakete, wenn sie auf der Rampe steht, auch bei tropischem  Regen startklar machen n zu können. Dieser Turm bereitet den russischen Spezialisten allerdings noch Kopfzerbrechen. Der Chef der
Moskauer Raumfahrtagentur Roskosmos, Anatoli Perminow, will deshalb persönlich dafür bürgen, dass er zum Jahresende einsatzbereit ist.

Das neue russische „Kosmodrom unter Palmen“ ist gemeinsam von der Europäischen Weltraumorganisation ESA, der Europäischen Union (EU) und Arianespace finanziert worden. Die Gesamtkosten belaufen sich nach den neuesten Berechnungen auf 405 Millionen Euro. Deutschland ist mit rund sechs Prozent beteiligt. Die Russen steuern kein Geld, sondern die technischen  Ausrüstungen im Wert von 121 Millionen Euro für die Startrampe bei. Grundlage des Projekts ist ein russisch-französisches Regierungsabkommen von 2003  zur Stationierung der „Sojus-ST“ im „Raumfahrtzentrum Guyana“ (Centre Spatial Guyanais – CSG).

Nach Einschätzung von Roskosmos eröffnet das Programm „Sojus im CSG“  Russland und der Europäischen Union „neue Horizonte“ bei der Erschließung des Weltraums. Russland erhalte so die „potenzielle Möglichkeit“, Starts direkt am Äquator durchzuführen, und Europa dafür die „sicherste Mittelklasse-Rakete der Welt“.   Perminows Stellvertreter Viktor Remischewski sagte in St. Petersburg, der Träger sei in den vergangenen über 50 Jahren schon  1749 Mal bemannt und unbemannt gestartet. Die Zuverlässigkeitsquote  betrage „sagenhafte 99,8 Prozent“. Er hoffe, dass sich daran auch in Kourou nichts ändere.

Der Chef von Arianespace, Jean-Ives Le Gall, sprach von einem „historischen Tag“ für Europa.  Russland sei bei dem Geschäft ein „außerordentlich solider Partner“. Bisher seien 14 Raketen bei den „Progress“-Werken in Samara an der Wolga bestellt und Verträge über 20 Satelliten mit Kunden weltweit abgeschlossen  worden. Der Erststart sei für das zweite Semester 2010 geplant. Es handele sich dabei um einen britischen Fernmeldesatelliten auf einer indischen Plattform.  Schon bald sollen von hier vier „Sojus-ST“ pro Jahr ins All geschossen werden, von denen jede 70  Millionen Euro koste.

Im Februar 2007 war der Grundstein für den Startplatz gelegt worden. Dabei wurde symbolisch ein 20 Kilogramm schwerer Stein aus der Rampe in Baikonur mit eingebaut, von der „Sputnik 1“ 1957 und Juri Gagarin 1961 gestartet waren. Als Erstes musste ein  149 mal 123 Meter messender Abgaskanal in den Felsen gesprengt werden, über dem in 30 Metern Höhe der Starttisch mit einem Loch thront, in das die Rakete „eingehängt“ wird.

Russland verspricht sich von Kourou eine Stärkung seiner Stellung als Weltmarktführer bei kommerziellen Satellitenstarts. Mehr noch: Es will Monopolist bei Nutzlasten von drei Tonnen in den geostationären Orbit werden. Die Europäer ihrerseits festigen ihre Position auf dem hart umkämpften Markt dadurch, dass der russische Träger eine schmerzliche Angebotslücke zwischen der schweren „Ariane“- und der leichten „VEGA“-Rakete schließt, was wiederum den Kundenkreis erheblich erweitert.