Berlin/Moskau, 21. August 2012 — Mit einem Ultimatum von Ministerpräsident Wladimir Medwedjew im Nacken sucht Russlands Raumfahrtagentur Roskosmos hektisch nach einem Ausweg aus der jüngsten Pannenserie. Sieben Fehlstarts seit Dezember 2010, bei denen zehn Satelliten verloren gingen, seien nicht hinnehmbar, hatte der Premier am Mittwoch vergangener Woche (15. 8.) auf einem Krisentreffen mit Roskosmos-Chef Wladimir Popowkin und anderen hohen Kadern gewettert. Russland verliere dadurch seine Autorität als Raumfahrtmacht und zudem Milliarden-Summen. Medwedjew wies Popowkin an, bis Mitte September „praktische Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsqualität der Branche“ und deren strikte Kontrolle durch die Agentur vorzuschlagen. Außerdem gehörten auch deren „Arbeitsinhalte und Organisationsformen“ selbst auf den Prüfstand.
Premier erwartet Leistung für Milliarden-Investitionen
Unmittelbarer Anlass für die geharnischte Kritik des Regierungschefs war das erneute Versagen einer Oberstufe der „Proton-M“-Trägerrakete am 7. August. Dadurch erreichten ein russischer und ein indonesischer Nachrichtensatellit ihre geostationäre Umlaufbahn nicht und wurden zu teurem Weltraumschrott, während am Vortag die Amerikaner mit einem spektakulären Manöver ihren Forschungsrover „Curiosity“ sicher auf den Mars gebracht hatten. Medwedjew erinnerte die Manager daran, dass Russland von 2012 bis 2015 umgerechnet fast 14 Milliarden Euro in die Raumfahrt investiere und dafür auch eine entsprechende Gegenleistung erwarten könne.
Als erste Reaktion kündigte Popowkin inzwischen an, eine der Lösungsvarianten sei die Umgestaltung von Roskosmos nach dem Vorbild der Staatlichen Atombehörde „Rosatom“. Er werde diesen Vorschlag Medwedjew und Präsident Wladimir Putin zur Entscheidung unterbreiten. Experten sehen darin indes einen falschen Schritt, da sich die Agentur damit der Regierungskontrolle entziehe. Auch ließen sich so nicht die Qualität der Produktion erhöhen oder der Fachkräftemangel beseitigen. Zudem fehlten damit Konkurrenzstrukturen, wie es sie in den westlichen Raumfahrtländern und sogar in China gebe.
Koptjew für europäisches Qualitätssteuerungssystem
Der Vorsitzende des Wissenschaftlich-Technischen Rates „Rostechnologii“, Juri Koptjew, sieht den Ausweg aus der Krise in der Übernahme des europäischen Qualitätssteuerungssystems. Das gewährleiste die Kontrolle der Erzeugnisse in 12 bis 13 Fertigungsetappen und schließe so schon frühzeitig Fehler aus.
Zudem plädierte er für die Einführung eines Systems der materiellen Motivation. Nur so könne das Risiko von Havarien gesenkt werden.
Inzwischen hat der Generaldirektor des Raumfahrtkonzerns „Chrunitschew“, Wladimir Nesterow, seinen Rücktritt erklärt. Der Betrieb produziert die „Proton-M“-Raketen, deren „Bris-M“-Oberstufen in drei Fällen versagten. Beobachter sehen in dem überraschenden Schritt des 63-Jährigen den Versuch, Medwedjew davon abzuhalten, viele vermeintlich Schuldige an dem Dilemma zu feuern. Der für die Raumfahrt und das Militär verantwortliche Vizepremier Dmitri Rogosin beteuerte indes, man wolle auch künftig nicht auf die reichen Erfahrungen Nesterows verzichten. Popowkin, dessen Stuhl selbst wackelt, hat schon früher vor Entlassungen gewarnt, da damit die Personaldecke noch dünner werde.
(für dapd)