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Credit Roskosmos

Uglegorsk, 4. Juni 2012 — Der rundum erfolgreiche Premierenflug des privaten US-Raumschiffs „Dragon“ („Drache“) zur Internationalen Raumstation ISS hat den russischen Bären offenbar aufgeschreckt. Der für das Militär und die Raumfahrt zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin hat am Montag in Uglegorsk mit der Spitze der Raumfahrtagentur Roskosmos über die Zukunft der Branche beraten. Roskosmos-Chef Wladimir Popowkin sollte dabei seine Vorschläge für eine Reform der Raketenindustrie und die Bildung von Branchen-Holdings vorlegen, wie die Nachrichtenagentur RIA Nowosti mitteilt.

Die Raumfahrtagentur müsse sagen, „womit  sie für das Land nützlich sein kann“, hatte Rogosin zuvor getwittert. Danach werde bis Mitte des Sommers über ihr Schicksal entschieden. Die Tagung war auf doppelte Weise abgesichert: Sie wurde in der geschlossenen fernöstlichen Stadt und zudem hinter verschlossenen Türen abgehalten.

Vergleich mit Lenins GOELRO-Plan

Anlass für die Ortswahl war ein Besuch Rogosins auf der Baustelle des neuen Kosmodroms „Wostotschny“ („Der Östliche“) im Amur-Gebiet nahe Uglegorsk. Schon 2015 sollen hier die ersten unbemannten Raumschiffe starten, drei Jahre später dann bemannte. Der Vizepremier fand für den künftigen Weltraumbahnhof, mit dem sich Russland von Baikonur unabhängig machen will, das nach dem Zerfall der UdSSR zu Kasachstan gehört, nur Superlative. Er verglich das Vorhaben gar mit Lenins GOELRO-Plan zur Elektrifizierung Russlands aus den 1920er Jahren. Das gigantische Bauvorhaben werde die Menschen hierher locken und Russlands Wirtschaft besser ausbalancieren. Nicht nur der europäische Teil des Landes entwickele sich, sondern auch der östliche, betonte Rogosin, der unter dem neuen Premier Dmitri Medwedjew seinen Posten behalten durfte.

Experten fordern mehr Ordnung, Disziplin und Wettbewerb

Namhafte Experten beklagen indes,  dass Russland seine Führungsposition in der internationalen Raumfahrt verloren habe. Um diese wieder zu erlangen, seien mehr Ordnung und Disziplin, die Reduzierung der Zahl der nicht effizienten Betriebe sowie die Entwicklung von Konkurrenz-Mechanismen und der privaten Raumfahrt erforderlich, wie eine Umfrage von RIA Nowosti ergab. Nur so könne man an die Verwirklichung bahnbrechender Projekte gehen. Eigentlich hätte man mit der Schließung unrentabler Firmen schon in den 1990er Jahren beginnen müssen, sagte der Generaldirektor des Unternehmens „Selenochod“,  Nikolai Dsies-Wojnarowski, der Agentur. „Jetzt ist die Krankheit chronisch geworden, und ich fürchte, es gibt keinen anderen Ausweg.“ Zudem habe man die Schuldigen für die schweren Rückschläge etwa bei der Marssonde „Phobos-Grunt“  und bei der Verzögerung des Satellitennavigationssystems GLONASS nicht zur Verantwortung gezogen. Auch seien die Anfangsgehälter für Raketen-Ingenieure mit umgerechnet 500 Euro „katastrophal niedrig“. Mit Kadern, die man für dieses Geld anheuert, „werden unsere Raketen niemals fliegen“, betonte Dsies-Wojnarowski, dessen Gesellschaft das erste private Mondauto „Lunochod“ entwickelt hat.

(für dapd)