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Frank De Winne

Berlin/Koroljow, 2. Oktober 2009 — Große Europa-Premiere auf der Internationalen Raumstation: Zum ersten Mal in ihrer elfjährigen Geschichte ist ein Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation ESA Chef in der ISS. Die Ehre wurde dem Belgier Frank de Winne zuteil, der seit Mai zusammen mit fünf anderen Raumfahrern die 20. und zugleich erste sechsköpfige Stammbesatzung gebildet hat. Seit Freitag ist er nun Kommandant der 21. Stammcrew.

Bisher hatten nur Amerikaner und Russen wechselseitig das Sagen. Dieser Zyklus ist jetzt durchbrochen worden. Die ESA, die mit dem Forschungslabor „Columbus“ und dem automatischen Frachtraumschiff ATV einen wesentlichen Beitrag zur ISS leistet, sieht sich damit durchaus auf Augenhöhe mit den beiden Weltraumgroßmächten.

De Winne hat die Station vom Russen Gennadi Padalka übernommen, der am 11. Oktober mit seinem amerikanischen Kollegen Michael Barratt nach halbjähriger Regenschaft wieder zur Erde zurückkehrt. Mit an Bord der „Sojus“-Kapsel ist dann auch der kanadische Weltraumtourist Guy Laliberté, der am Freitag mit dem Russen Maxim Surajew und dem US-Amerikaner Jeffrey Williams als Ablösung für Padalka und Barrett zur Station gekommen war. Ihr Raumschiff „Sojus TMA-16“ hatte pünktlich um 10. 35 Uhr deutscher Zeit angedockt.

Aufmerksame Beobachter der Kopplung waren im Flugleitzentrum (FLZ) in Koroljow bei Moskau der Chef der  US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA, Charles Bolden, und sein russischer Counterpart Anatoli Perminow. Der Amerikaner befindet sich derzeit auf einer Good-Will-Tour in Russland. Ein erstes Ergebnis seiner Gespräche ist die Bildung der gemeinsamen Arbeitsgruppe „Zusammenarbeit im Kosmos“. Sie ist  Teil der von Barack Obama und Dmitri Medwedjew  ins Leben gerufenen „Präsidentenkommission“ zur Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Staaten.

Rund vier Wochen lang ist de Winne, der seit Mai auf der Umlaufbahn arbeitet, Chef seiner fünf Bordingenieure Surajew und Roman Romanenko (beide Russland), Nicole Stott und Williams (beide USA) und Robert Th irsk (Kanada). Im November kehrt der Belgier wieder nach Hause zurück. Mit dem kanadischen Zirkusdirektor hat er zumindest für eine Woche einen Gesinnungsgenossen in Sachen Wasser an Bord. Guy Laliberté will mit seiner Stiftung „ONE DROP“ (ein Tropfen) auf das noch lange nicht verwirklichte Recht aller Erdenbürger auf Zugang zu sauberem Wasser aufmerksam machen. Und der Belgier geht als Unicef-Botschafter seines Landes dasselbe Thema im Rahmen des WASH-Programms an. Wasser sei auch in der ISS knapp. Deshalb könne der „verantwortliche Umgang“ mit dem kostbaren Nass und dessen Wiederaufbereitung im Weltraum auch für „effektive Wasserbehandlungsmethoden“ auf der Erde sorgen. Das sei besonders für die Entwicklungsländer wichtig, sagte de Winne.

Der  48-jährige Belgier bringt für seine neue Aufgabe die besten Voraussetzungen mit. Er war im Oktober/November 2002 schon einmal für eine gute Woche in der Station. Als Bordingenieur sorgte er damals dafür, dass das neue modifizierte Raumschiff “Sojus  TMA-1″ wohlbehalten zur ISS gebracht und der letzte Vorgänger “Sojus TM-34″ dann sicher zur Erde zurückgeführt wurde. Daneben arbeitete de Winne noch ein umfangreiches Forschungsprogramm ab.

Auch diesmal hat der Vater dreier Kinder für seine 180-Tage-Mission wieder viele  wissenschaftliche Aufträge im Gepäck, die er seit Mai fleißig abarbeitet. Im Rahmen des “OasISS”-Programms – der Name spielt auf die Raumstation als Oase für menschliche Forschungen an – führt  er zahlreiche Experimente durch, die von Wissenschaftlern aus Europa und der ganzen Welt vorbereitet wurden.  Außerdem stehen technologische Demonstrationen bei Live-Schaltungen in Schulen und andere Bildungsaufgaben auf dem Plan.

Probleme befürchte er an Bord nicht, sagt de Winne. Trotz unterschiedlicher Herkunft, Sprache  und Kulturen werde die multinationale Besatzung „geschlossen am gemeinsamen Ziel” arbeiten.

Erstmals sind nach der Ankunft von Surajew, Williams und Laliberté gleich drei „Sojus“-Kapseln gleichzeitig an der ISS angedockt – „Sojus TMA-14“, „Sojus TMA-15“ und nun „Sojus TMA-16“. Sie haben am 28. März, 29. Mai und schließlich am 2. Oktober festgemacht. Das ist dem Umstand geschuldet, dass seit Mai die Stammbesatzung ihre Sollstärke von sechs Mitgliedern erreicht hat. Deshalb müssen ständig zwei der dreisitzigen Raumschiffe als „Rettungsboote“ an der Station angekoppelt sein, um diese i m Fall der Fälle verlassen zu können. Die Ablösung lässt deshalb immer ihr neues Raumschiff an der Station, während die abzulösenden Crew mit dem jeweils ältesten die Rückreise antritt. Damit trägt man der Tatsache Rechnung,  dass die „Sojus“-Kapseln aus technischen Gründen  maximal  200 Tage einsetzbar sind.