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Berlin, 5. Januar 2012 — Russland will 2012 mit einer Rekordzahl von 36 Weltraumstarts das vergangene Pannenjahr vergessen machen. 31 Raketen sollen vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan und 5 vom militärischen Weltraumbahnhof Plessezk in Nordrussland aufsteigen – insgesamt vier mehr als im Gagarin-Jahr 2011.
Fünf Starts endeten im vergangenen Jahr allerdings im Fiasko. Dabei gingen drei hochwertige Satelliten, ein automatischer Frachter und die Marssonde Phobos-Grunt verloren. Das führte unter anderem dazu, dass Russland sein erklärtes Ziel nicht erreichte, nach eineinhalb Jahrzehnten Zwangspause in der internationalen Planetenforschung wieder ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Anfang November gestartete Marssonde kam offenbar wegen eines Programmierfehlers über die erdnahe Umlaufbahn nicht hinaus und stürzt nun Mitte Januar unkontrolliert ab.

Eine solche fatale Fehlerquote soll sich natürlich in diesem Jahr nicht wiederholen. Dafür muss der neue Vizepremier Dmitri Rogosin sorgen, den Ministerpräsident Wladimir Putin kurz vor Weihnachten zum Oberaufseher für die Raumfahrtbranche gemacht hat, die an personeller und technische Auszehrung leidet. Schon am 25. Januar muss der Chef der nationalen Raumfahrtagentur Roskosmos, Wladimir Popowkin,  zum Rapport bei Rogosin erscheinen, um die Ursachen für die Fehlstarts zu benennen und zugleich Mittel und Wege aufzuzeigen, wie solche Peinlichkeiten in Zukunft vermieden werden können. Zudem soll Popowkin Mitte Februar einen Plan für die Entwicklung der Raumfahrt bis zum Jahr 2030 vorlegen.

Das kommt nach Ansicht von unabhängigen russischen Experten der Quadratur des Kreises gleich. Denn über Nacht lassen sich nicht die Fehler und Rückstände beseitigen, die sich in Jahrzehnten in der permanent unterfinanzierten Branche angestaut haben. In den Raumfahrtschmieden arbeiteten überwiegend Menschen im Alter von über 60 beziehungsweise unter 30 Jahren, diagnostizierte der Roskosmos-Chef jüngst. Es fehle praktisch die mittlere Generation der Fachkräfte. Popowkin kündigte an, demnächst überalterte Führungskräfte durch jüngere auszutauschen. Von der Drohung Präsident Dmitri Medwedjews, die Schuldigen an den Havarien persönlich, materiell und notfalls auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, ist indes nichts mehr zu hören.

Bei 17 Starts in diesem Jahr geht es um Sojus-Raketen, die sich bislang als sehr zuverlässig erwiesen, den Russen 2011 aber plötzlich großes Kopfzerbrechen bereitet haben. Auf das Konto einer solchen Rakete kam am 24. August der erste Fehlstart überhaupt im gesamten ISS-Programm. Das hat natürlich die Partner, allen voran die Amerikaner, erschreckt. Denn sie sind seit der Einstellung der Shuttle-Flüge voll auf die guten Dienste der Russen angewiesen. Viermal sollen in diesem Jahr Sojus-Raumschiffe mit der gleichnamigen Rakete bemannt und sechsmal unbemannt zur Station starten. Das birgt ein erhebliches Fehler-Potential.

Für Russland selbst steht noch nicht fest, ob die geplanten nationalen Wissenschaftsmissionen nach den jüngsten Fehlschlägen wie vorgesehen stattfinden können. Möglicherweise muss man sich erneut überwiegend mit der Rolle des „kosmischen Lohnkutschers“ begnügen, der die Nutzlasten anderer ins All bringt.

(für dapd)