Mi. Sep 25th, 2024
Moskau, 27. Dezember 2011 — Eigentlich wollte Russland den 50. Jahrestag des historischen Raumfluges seines großes Sohnes Juri Gagarin vom 12. April 1961 mit einem kosmischen Brillantfeuerwerk feiern. Präsident Dmitri Medwedjew hatte dazu 2011 extra zur Jahr der russischen Raumfahrt ausgerufen. Mit einer Vielzahl von Jubiläums-Veranstaltungen, Publikationen und Raketenstarts wollte man der Weltöffentlichkeit die „Schlüsselrolle Russlands bei der Erschließung des Weltraums und die Bedeutung der nationalen Forschungsprogramme für die ganze Menschheit“ vor Augen führen, wie es Ministerpräsident Wladimir Putin als Chef des Organisationskomitees formulierte. Doch dann kam alles ganz anders. Zwar kann die zivile Raumfahrtagentur Roskosmos auf 20 erfolgreiche Starts (Stand 27. 12.), darunter vier bemannte, verweisen. Doch die werden von einer beispiellosen Pannenserie überschattet. Roskosmos-Generaldirektor Wladimir Popowkin sah sich deshalb zum Jahresende  zu dem bitteren Eingeständnis gezwungen, dass sich die einstige Vorzeigebranche in einer „Krise“ befinde.

Das Debakel hatte bereits im Dezember vergangenen Jahres begonnen. Durch Versagen der Oberstufe einer Proton-Rakete fielen drei Satelliten des Weltraumnavigationssystems Glonass ins Meer. Damit konnte der Ukas Putins nicht erfüllt werden,den Konkurrenten zum US-Counterpart GPS noch 2010 fertigzustellen. Medwedjew entließ daraufhin einen Roskosmos-Vize  und den stellvertretenden Chef des Raumfahrtkonzerns RKK “Energija”. Der damalige Roskosmos-Generaldirektor Anatoli Perminow erhielt eine Rüge. Ihn retteten wohl die bevorstehenden Jubelfeiern am 12. April im Kreml. Kaum waren aber die vorbei, wurde auch er in den Ruhestand geschickt.


Im Februar ging als erster im Jubiläums-Jahr der Militärsatellit Geo-IK-2 verloren,und Anfang April verzögerte sich peinlicherweise der Start eines nach Gagarin benannten Sojus-Raumschiffes zur Internationalen Raumstation ISS. Die russischen und internationalen VIPs, die das Spektakel auf dem Kosmodrom Baikonur (Kasachstan) live miterleben sollten, mussten wieder ausgeladen werden.

Perminows Nachfolger Popowkin versprach im Mai, nicht alles anders, aber vieles besser zu machen. Er führte ein schärferes Qualitätskontrollsystem und neue, militärische  Leitungsstrukturen ein. Doch das Unheil nahm unvermindert seinen Lauf. Am 18. August verfehlte der Nachrichtensatellit Express-AM4  seine vorausberechnete Umlaufbahn. Und nur eine Woche später,am 24. August,stürzte ein Sojus-Raumschiff mit einem automatischen Progress-Frachter auf dem Weg zur ISS im Altai-Gebirge ab. Die dritte Trägerstufe hatte sich vorfristig abgeschaltet. Daraufhin mussten zwischenzeitlich die bemannten Flüge gestoppt werden. Da der Fehler – eine verstopfte Treibstoffleitung – aber schnell gefunden wurde, konnten sie glücklicherweise schon bald wieder aufgenommen werden. Am 9. November erreichte die Marssonde Phobos-Grunt mit der Russland nach 15-jähriger Pause wieder in die internationale Planetenforschung einsteigen wollte, zwar die Erdumlaufbahn. Doch dann zündeten die Marschtriebwerke für den Weiterflug nicht. Nun wird die 120 Millionen Euro teure Sonde im Januar abstürzen und verglühen.

Als ob das Land im Gagarin-Jahr nicht schon genügend gedemütigt wäre, stürzte am 23. Dezember erneut eine Sojus-Rakete wegen eines Triebwerksfehlers ab. Die Trümmer des Militär-Satelliten, den sie auf die Umlaufbahn bringen sollte, gingen ironischerweise in dem Dorf Wagajzewo (Gebiet Nowosibirsk) auf der Straße der Kosmonauten nieder, ohne allerdings jemanden zu verletzen. Und am 27. Dezember musste eine Proton-Rakete von der Startrampe wegen eines Fehlers in der Oberstufe in den Test- und Montagekomplex (MIK) zurückgerollt werden.
Als Ursache für das offensichtliche Dilemma hat Popowkin eine Krise der Raumfahrtbranche mit dem Triebwerksbau als Kernstück ausgemacht.  Der ganze Zweig bedürfe der grundlegenden Modernisierung. Außerdem fehle es  an jungen und qualifizierten Fachkräften, sagte er.
Ob der neue Sojus-Unfall Folgen für das ISS-Programm hat, steht im Moment noch nicht fest. Der nächste unbemannte Sojus-Start ist für Ende Januar und der nächste bemannte Start für März geplant. Russlands Raumfahrt steht also auch 2012 vor gewaltigen Problemen.

(für dapd)