Berlin/Tokio, 18. September 2009 — Die Astronauten der Internationalen Raumstation ISS haben in der Nacht zum Freitag ein kosmischen Meisterstück vollbracht: Bei 28 000 Stundenkilometern fingen sie den japanischen Weltraumfrachter „HTV-1“ mit dem Roboterarm ein und koppelten ihn dann per Hand an das US-Verbindungsmodul „Harmony“ an. Die Operation erforderte enormes Fingerspitzengefühl und wurde deshalb wohl nicht von ungefähr der einzigen Frau in der sechsköpfigen Stammbesatzung übertragen – der Amerikanerin Nicole Stott. Unterstützt wurde sie von ihrem Landsmann Michael Barratt und ihrem kanadischen Kollegen Robert Thirsk.
Das japanische Kontrollzentrum in Tsukuba quittierte die Präzisionsarbeit von Stott rund 350 Kilometer über der Erde mit spontanem Beifall. Die Bordingenieurin selbst zeigte sich begeistert von dem Frachter. Er sehe „großartig“ aus, sagte sie. Sie werde auf jeden Fall ein paar Fotos und Viodeoaufnahmen von ihm machen.
Nach Angaben eines Sprechers der japanischen Raumfahrtagentur Jaxa haben für das „Einfangen“ von „HTV“ nur 90 Sekund en zur Verfügung gestanden. Da musste also jeder Handgriff sitzen. Auch das Andocken des 16,5-Tonnen-Kolosses an den unteren „Harmony“-Kopplungsstutzen war eine Meisterleistung. Das Manöver sei mit dem Versuch zu vergleichen, „sich aus zwei mit Tempo 100 nebeneinander fahrenden Autos die Hand zu geben“, hatten Experten im Vorfeld erklärt. Für den Fall, dass nicht alles nach Plan laufen sollte, seien 1800 Lösungsvarianten für eventuell auftretende Probleme vorbereitet worden. Nach Herstellung der elektrischen und Datenverbindungen sollen am Samstag die Luken zwischen dem „HTV“ und „Harmony“ geöffnet werden.
Der Frachter war am 10. September mit einer brandneuen „H-IIB“-Trägerrakete vom südjapanischen Weltraumbahnhof Tanegashima aufgestiegen. Während des einwöchigen Fluges wurden mehrere Rendezvous-Manöver durchgeführt und alle Systeme getestet. Nach drei Tagen hatte sich das Raumschiff, das im Gegensatz zu den russischen „Progress“- und den europäischen „ATV“-Frachtern über kein automatisches Kopplungsaggregat verfügt, mit Hilfe des Satellitennavigationssystems GPS bis auf 23 Kilometer genähert. In diesem Moment wurde mit ihm über das Kommunikationssystem des japanischen Forschungsmoduls KIBO Kontakt aufgenommen.
Das zylinderförmi ge „HTV“ wiegt 16,5 Tonnen,20ist zehn Meter lang und hat einen Durchmesser von 4,4 Metern. Es kann sechs Tonnen Nachschub auf die Umlaufbahn bringen. Bei seinem Jungfernflug hat es aber nur 4,5 Tonnen Forschungsapparaturen für KIBO und Lebensmittel an Bord. Der Transporter soll bis November angekoppelt bleiben. Mit Stationsmüll beladen, wird er dann abgekoppelt und gezielt über dem Pazifik zum Absturz gebracht.
Nach Jaxa-Informationen haben die Entwicklungsarbeiten für das Raumschiff 1997 begonnen.
Die Projektkosten belaufen sich auf knapp 700 Millionen US-Dollar. Das „HTV“ ist nach KIBO der zweite große Beitrag Japans zur ISS. Es ist eines der Schlüsselelemente für die Versorgung der Station nach der Einstellung der Shuttle-Flüge und soll sie bis 2015 jeweils einmal pro Jahr ansteuern.