Berlin, 25. August 2011 — Nach dem Fehlstart der russischen Sojus-Rakete mit dem Progress-Frachter hat das große Aufräumen begonnen. Spezialtrupps sind seit Donnerstagmorgen bei der Ortschaft Karakokscha in der fernöstlichen Altai-Gebirgsrepublik unterwegs, um die Trümmer zu bergen. Zugleich geht die intensive Suche nach den Ursachen der Katastrophe weiter, die nicht nur verbogenes Blech, sondern auch großen moralischen Schaden produziert hat. Auf einer Krisensitzung in Moskau hat die Raumfahrtagentur Roskosmos versichert, ihre Verpflichtungen Rahmen des ISS-Programms bedingungslos zu erfüllen. Inzwischen werden erste Forderungen nach einer internationalen Untersuchung laut.
Absturz ist mittlerer GAU
Der Sojus-Absturz vom Mittwoch kommt einem mittleren GAU gleich. Viel schwerer als der Verlust der 2,7 Tonnen Nachschub für die Besatzung der Internationalen Raumstation wiegt dabei die Tatsache, dass das bis dato höchst zuverlässige und wichtigste kosmische „Arbeitspferd“ der Russen zu lahmen scheint. Die möglichen Folgen gerade für den weiteren Betrieb der Internationalen Raumstation sind noch nicht absehbar. Doch werden die Partner jetzt mit Nachdruck daran erinnert, dass sie nach dem Ende des Shuttle-Programms kein bemanntes Reservetransportsystem für die Station mehr haben und voll von den Russen abhängen.
Die Bruchlandung im Altai weckt Erinnerungen an das Jahr 1975. Damals war ein Sojus-Raumschiff mit Wassili Lasarew und Oleg Makarow an Bord ebenfalls wegen eines Problems mit der 3. Raketenstufe hier im Gebirge notgelandet. Wie durch ein Wunder überlebten die Männer. Damals wurde die nächste Sojus-Rakete bereits sieben Wochen später gestartet. Wie schnell diesmal der Fehler ausgemacht und beseitigt wird, steht noch nicht fest. In ersten Medienberichten heißt es, der für den 22. September geplante Start der nächsten bemannten Sojus-Kapsel zur ISS werde sich wohl verzögern. Dann müssten auch die drei Astronauten, die eigentlich am 8. September von der ISS zurückkehren sollen, ihre Mission verlängern.
Versorgung der ISS-Mannschaft nicht gefährdet
Versorgungsprobleme dürften durch den Ausfall des Frachters in der ISS nicht auftreten, sagte der russische Flugleiter Wladimir Solowjow. Niemand werde Hunger leiden. Zudem fliege das nächste Frachtraumschiff schon am 28. Oktober zur Station.
Roskosmos hat inzwischen den für Freitag geplanten Start eines Glonass-Navigationssatelliten mit der neuen Sojus-2.1-Rakete vom nordrussischen Militärkosmodrom Plessezk gecancelt. Ob auch der für den 20. Oktober geplante Premierenstart des Sojus-ST-Trägers vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou (Französisch-Guyana) in Gefahr ist, muss sich noch zeigen.
Das Sojus-Desaster kommt für die Russen zur Unzeit. Denn seit geraumer Zeit kämpfen sie mit ernsten Problemen bei den mehrfach zündbaren Oberstufen ihrer Proton-M-Raketen. Nach einer neuen Panne in der vergangenen Woche, bei der der Nachrichtensatellit Express-AM4 verloren ging, erhielten diese vorerst Startverbot. Nun trifft auch die Sojus der Bann. Damit sind zumindest vorübergehend die wichtigsten russischen Trägerraketen an den Boden genagelt.
(für dapd)