Berlin, 4. August 2011 — Bis zwei Tage vor dem Start des Wostok-Raumschiffes vom 12. April 1961 konnte German Titow (1935-2000) hoffen, als erster Mensch im All in die Geschichte einzugehen. Doch dann fiel die Wahl auf Juri Gagarin (1934-1968). Titow blieb die undankbare Rolle als Double. Aus Geheimhaltungsgründen gab es damals keine Bilder von der entscheidenden Sitzung der Staatlichen Kommission, auf denen man seine Reaktion hätte ablesen können. Heute wissen wir, dass er trotz aller tiefen und verständlichen Enttäuschung von Anfang an Gagarin für die richtige Wahl hielt.
17 Erdumrundungen und erste Bilder aus dem All
Titow blieb bis zu seinem Start am Morgen des 6. August 1961 für die Öffentlichkeit namenlos. Er hieß lediglich „Kosmonaut 2“. Doch auch als zweiter Mensch im Weltraum wartete der Lehrersohn aus dem Altai mit einer ganzen Reihe spektakulärer Leistungen auf, die ihm einen besonderen Platz in der Raumfahrtgeschichte sichern. Während Gagarin die Erde lediglich einmal umrundete, kreiste Titow in 25 Stunden und 18 Minuten gleich 17 Mal um unseren Planeten. Damit stellte er einen ersten Langzeitflugrekord auf. Außerdem machte er mit seiner 35-Millimeter-Konvas-Filmkamera aus seinem Raumschiff erstmals Aufnahmen von unserem Blauen Planeten und eröffnete so das Zeitalter der Weltraumfotografie. Ganz nebenbei war er mit 25 Jahren der bisher jüngste Kosmonaut.
Noch heute wird gerätselt, warum Gagarin und nicht Titow als Erster ins All geflogen ist. Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Das letzte Wort bei Gagarin hatte offenbar Chefkonstrukteur Sergej Koroljow. Ihm gefielen das offene russische Gesicht, die strikte Disziplin, die schnelle Auffassungsgabe und das ausgeglichene Wesen des Bauernsohnes aus der Gegend um Smolensk. Kosmonauten-General Nikolai Kamanin tendierte dagegen eher zu Titow. Als sich aber Koroljow durchsetzte, schloss er sich dem mit der Begründung an, Titow sei wohl besser für den langen Flug geeignet, da er einen „stärkeren Charakter“ habe. Der hat allerdings auch nicht verhindern können, dass der Kosmonaut heftig mit der Raumkrankheit zu kämpfen hatte.
Puschkin als Namengeber und Lob für die Berliner Mauer
Es gibt aber auch Stimmen, die meinen, Titow habe wegen seines nichtrussischen Vornamens, seiner nichtproletarischen Herkunft und weil er aus dem fernen Sibirien stammte, von vornherein keine Chancen gegen Gagarin gehabt. In der Tat hat Vater Titow, ein Literatur- und Opernnarr, seinen Sohn nach dem deutschen Ingenieur Hermann aus Puschkins Erzählung Pique Dame benannt. Dieser „Makel“ kann durchaus eine Rolle gespielt haben. Titow jedenfalls hat sein Schicksal, nur Zweiter gewesen zu sein, bis zu seinem Tod immer in die Metapher gekleidet: „Jeder weiß, dass Kolumbus Amerika entdeckt hat. Aber wer erinnert sich schon daran, wer nach ihm kam?“
Sicher war es kein Zufall, dass Titow, der später eine Militärkarriere bis zum Generalobersten gemacht hat, zu seiner ersten Auslandsreise nach seinem Flug in die DDR geschickt wurde, um ihr in einer politisch brisanten Zeit ideologische Schützenhilfe zu leisten. Sein Besuch Anfang September 1961 in Ost-Berlin führte ihn auch gleich an die frisch hochgezogene Mauer am Brandenburger Tor. Mit der Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“ habe die DDR „die aggressiven imperialistischen Kräfte in die Schranken gewiesen“, schrieb Titow dazu in seinem Buch „Mein blauer Planet“.
(für dapd)