Cape Canaveral, 8. Juli 2011 — Der Beginn des großen Finales für das US-Shuttle-Programm hätte dramatischer nicht sein können. Obwohl der Wetterdienst die Startchancen wegen Sturms, Regens und Tropengewittern auf lediglich 30 Prozent bezifferte, setzte die Luft- und Raumfahrtbehörde NASA voll auf Risiko und ließ die „Atlantis“ wie geplant auftanken.
Das Wagnis gelang: Die dunklen Wolken über dem Weltraumbahnhof Cape Canaveral verzogen sich rechtzeitig, und die Raumfähre hob um 17.29 Uhr deutscher Zeit ab – drei Minuten später als geplant. Bis zu einer Million Schaulustige entlang der sogenannten Space Coast sahen, wie sich mit der „Atlantis“ zum 135. und letzten Mal ein Shuttle in den Himmel über Florida bohrte und mit einer riesigen Abgasfahne über dem Meer entschwand.
Vierer-Crew bringt tonnenweise Nachschub zur ISS
Die vierköpfige Shuttle-Crew unter Commander Chris Ferguson soll am Sonntag an der ISS andocken und mehrere Tonnen Lebensmittel, Ersatzteile, wissenschaftliche Geräte, Verbrauchsmaterialien und natürlich auch Post zur Station bringen, in der drei Russen, zwei Amerikaner und ein Japaner Dienst tun. Während des achttägigen Gemeinschaftsfluges ist auch ein Ausstieg in den freien Raum vorgesehen, um eine defekte Pumpe in der Shuttle-Ladebucht zu verstauen. Der „Weltraumspaziergang“ wird von zwei amerikanischen ISS-Astronauten ausgeführt. Am 20. Juli soll dann die „Atlantis“ wieder zur Erde zurückkehren. Damit wird ausgerechnet am 42. Jahrestag der Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin das Kapitel „Space Shuttle“ geschlossen, das vor 30 Jahren an einem ebenso geschichtsträchtigen Tag begonnen hatte – nämlich am 12. April 1981, dem 20. Jahrestag des Fluges von Juri Gagarin als erster Mensch ins All.
Die Shuttle-Crew wurde für die letzte Mission bewusst von normalerweise sechs bis sieben auf vier Mitglieder reduziert. Damit trägt man dem Umstand Rechnung, dass diesmal keine Rettungsfähre zur Verfügung steht, wie sie seit der „Columbia“-Katastrophe von 2003 üblich ist. Sollte die „Atlantis“ unerwarteterweise irreparabel beschädigt werden, müssten sich Ferguson, sein Pilot Doug Hurley sowie die Missionsspezialisten Sandy Magnus und Rex Walheim in die ISS retten. Von dort könnten sie dann mit den russischen „Sojus“-Raumschiffen zur Erde zurückkehren – eine
Prozedur, die lange dauern könnte. Denn die Kapseln haben nur drei Sitze und fliegen im Normalfall die Station nur viermal im Jahr an.
Bolden und Obama machen den Amerikanern Mut
Angesichts der neuen Situation hatte NASA-Chef Charles Bolden vor dem Start versucht, die in der US-Öffentlichkeit weit verbreiteten Ansicht zu entkräften, das Ende des Shuttle-Programms bedeute zugleich das Ende der bemannten Raumfahrt der Amerikaner überhaupt. Wer das behaupte, „muss auf einem anderen Planeten leben“, sagte er in einer Rede vor dem Nationalen Presseklub. Die USA schlössen im Gegenteil nicht mit der bemannten Raumfahrt ab, sondern unternähmen vielmehr die „notwendigen und schwierigen Schritte, um heute die Vorherrschaft Amerikas“ auf diesem Feld für die kommenden Jahre zu sichern. Die NASA überlasse das Geschäft mit den Transportsystemen für den erdnahen Raum privaten Unternehmen und baue dafür schwere Trägerraketen, „um eventuell Astronauten auf die Reise zum Mond, zu erdnahen Asteroiden und vielleicht zum Mars zu schicken“.
Präsident Barack Obama, der 2010 das „Constellation“-Programm seines Vorgängers George W. Bush für die bemannte Rückkehr zum Mond aus Kostengründen gestrichen hat, forderte einen „technologischen Durchbruch“, um in der Raumfahrt neue und fernere Ziel wie etwa Asteroiden und den Mars ansteuern zu können. Die USA seien weiter in der Weltraumforschung führend, betonte er. Er habe deshalb die NASA auch „gedrängt, ihre Vision aufzupolieren“.
Ob der sichtbar zur Schau getragene offizielle Optimismus die erfolgsgewohnten und -verwöhnten Amerikaner überzeugt, muss sich erst noch zeigen. Tatsache ist, dass das Ende der Shuttle-Story, die gut 200 Milliarden Dollar verschlungen haben soll, für Zehntausende in der Raumfahrtbranche selbst und auch im Dienstleistungsgewerbe rund um das Cape zugleich die Entlassung in eine ungewisse Zukunft bedeutet. Ein privater Ersatz für die Raumfähren ist in nächster Zeit nicht in Sicht. Jetzt ruhen alle Hoffnungen bei der ISS auf den Russen.