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Berlin/Cape Canaveral, 31. August 2009 — In der Internationalen Raumstation herrscht seit Montagmorgen deutscher Zeit wieder ein multinationales Gedränge. Kurz vor 5.00 Uhr schwebten die sieben Astronauten der US-Raumfähre «Discovery» in die ISS und wurden von deren sechsköpfigen Stammcrew herzlich willkommen geheißen, bevor man sich zum obligatorischen Gruppenbild formierte. Damit halten sich zum zweiten Mal in der Geschichte elf Raumfahrer gleichzeitig in einer Orbitalstation auf. Diesmal sind es acht Amerikaner, zwei Russen, ein Kanadier sowie ein Belgier und ein Schwede als Vertreter Europas. Im Vergleich zur „Endeavour“-Mission im Juli fehlt nur Japan, ansonsten sind die ISS-Partner komplett an Bord.

Die „Discovery“ hatte um 2.54 Uhr und damit zehn Minuten früher als geplant an der Station angekoppelt. Der Shuttle war am Samstagmorgen vom Raumfahrtbahnhof Cape Canaveral (Florida) zu seiner 13-Tage-Versorgungsmission aufgebrochen. Während der Aufholjagd hatte die Mannschaft unter Kommandant Rick Sturckow, zu der auch der schwedische ESA-Astronaut Christer Fuglesang =2 0gehört, den Hitzeschild des Shuttles auf eventuelle Schäden untersucht, die beim Start durch herabfallende Teile der Tankisolierung oder Eiszapfen verursacht worden sein könnten. Mit einem Sensorsystem an der Spitze des Roboterarms wurden die «Nase» und die Tragflächen gescannt.

Eine Stunde vor dem Andocken hatte die Fähre zudem einen neunminütigen «Salto orbitale» vollzogen. Das gab dem russischen ISS-Chef Gennadi Padalka und seinem US-Bordingenieur Michael Barratt die Möglichkeit, auch die Unterseite der Fähre aus rund 200 Metern Entfernung mit hochauflösenden Kameras zu fotografieren. Die Aufnahmen werden im Kontrollzentrum in Houston (Texas) ausgewertet.

Fuglesang, der bereits im Dezember 2006 in der Station war und dabei drei Außenbordeinsätze absolviert hat, ist diesmal für das Mehrzweck-Logistikmodul (MPLM) «Leonardo» zuständig. Es bringt rund sieben Tonnen Lebensmittel, Trinkwasser, zwei Schlafkabinen für das japanische KIBO-Labor, ein neues,  von einem amerikanischen TV-Entertainer gesponsertes Laufband für das Fitnesstraining sowie vor allem neue wissenschaftliche Geräte auf die Umlaufbahn. Viele davon stammen von der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Dazu gehört die zweite von Astrium in Friedrichshafen entwickelte Spezialkühleinri chtung20(Minus Eighty Laboratory Freezer for ISS – MELFI-2). In ihr können Proben von biologischen und medizinischen Experimenten bis zu einer Temperatur von minus 80 Grad bis zur Rückführung zur Erde gelagert werden. MELFI-1 arbeitet schon seit 2006 störungsfrei in der Station.

Mit dem Labor für Werkstoffwissenschaften (Materials Science Laboratory – MSL) erhält die ISS ferner ihre erste Forschungsapparatur überhaupt, die ausschließlich diesem Bereich gewidmet ist. In ihr kann das Verhalten verschiedener Stoffe wie Metall, Glas, Kristall oder Keramik unter Weltraumbedingungen untersucht werden. Ziel ist es, später industriell Werkstoffe mit verbesserten Eigenschaften oder zu geringeren Kosten auf der Erde herzustellen. Mit der Fluidphysikanlage Declic (Dispositif d´Etude de la Croissance et des Liquides Critiques) können zudem Grundsatzfragen zur Herstellung neuer Legierungen und Halbleiter wie auch neue Methoden zur Abwasserbehandlung bearbeitet werden. Angesichts dieser Fülle neuer eigener Technik spricht die ESA von einem «Wendepunkt» ihrer Aktivitäten in der ISS.

Während des rund achttägigen Verbundfluges von Shuttle und ISS sind drei Außenbordeinsätze geplant. An zweien davon nimmt der 52-jährige Schwede teil. Dabei wird er gemeinsam mit einem US-Kollegen die 0D europäische Experimentierplattform (EuTEF), mit der neun verschiedene Werkstoffproben dem Vakuum des Weltraums ausgesetzt waren, von der Außenplattform des ESA-Labors «Columbus» abmontieren und in der «Discovery»-Ladebucht verstauen. Zudem müssen Werkstoffexperimente der NASA außen am Labor angebracht, ein 800 Kilogramm schwerer Ammoniaktank für das Temperaturregelungssystem der Station ausgetauscht und über 20 Meter Kabel für das künftige von Europa gebaute Verbindungsmodul «Node 3» verlegt werden.

Wenn die «Discovery» am 11. September wieder zur Erde zurückkehrt, fehlt die einzige Dame in der Crew – Nicole Stott. Sie löst ihren Landsmann Timothy Kopra ab, der seit Juli als Bordingenieur in der Station arbeitet. Stott bleibt bis November auf der Umlaufbahn und fliegt dann mit Frank de Winne, der im Oktober als erster ESA-Astronaut das Kommando in der ISS übernimmt, mit einer russischen «Sojus»- Kapsel nach Hause zurück.

Nach der russischen Statistik wäre Nicole Stott der 500. Raumfahrer im All seit Juri Gagarin. Doch die Amerikaner haben eine andere Zählweise. Deshalb haben sie diese Ehre schon im Juli ihrem Weltraumneuling Christopher Cassidy angedeihen lassen.

Die «Discovery», die ihren Jungfern flug vor genau 25 Jahren absolviert hat, ist zum 37. Mal  unterwegs und hat zum 11. Mal an der ISS angekoppelt. Die Shuttles haben seit ihrer Indienststellung am 12. April 1981 bisher 128  Missionen absolviert, darunter 30 zur ISS. Bis zur Einstellung der Flüge der nach der „Challenger“- und der „Columbia“-Katastrophe verbliebenen drei Raumfähren im kommenden Jahr sind noch sechs Starts geplant.