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Credit: Roskosmos
Credit: Roskosmos

Moskau, 21. Januar 2011 — Wenn bei den Sowjets alles nach Plan gelaufen wäre, hätte die Welt heute die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des historischen Fluges von Juri Gagarin bereits hinter sich. Ursprünglich war nämlich vorgesehen, ihn nicht erst am 12. April 1961, sondern schon im Dezember 1960 starten zu lassen.

Doch das wurde durch einen Super-GAU verhindert. Am 24. Oktober 1960 explodierte die neue sowjetische interkontinentale ballistische Atom-Rakete R-16 (NATO-Code: SS-7) von Chefkonstrukteur Michail Jangel wegen eines technischen Fehlers auf der Abschussrampe Nr. 41 in Tjura-Tam, dem heutigen Baikonur. Dabei fanden 126 Menschen den Tod, unter ihnen der Oberkommandierende der Strategischen Raketentruppen, Marschall Mitrofan Nedelin. Obwohl diese Katastrophe keine direkte Beziehung zur Raumfahrt hatte, wurde der Flug des ersten Kosmonauten abgesagt und letztlich auf den kommenden April verlegt.
 
Die Idee für den Dezember-Start wurde in einem Brief an die für solche Fragen zuständige „Allgemeine Abteilung“ des Zentralkomitees der KPdSU unterbreitet, wie erst im Jahre 1992 enthüllt wurde. Das Schreiben trug unter anderem die Unterschriften von Vize-Ministerpräsident Dmitri Ustinow,  Verteidigungsminister Rodion Malinowski,  Marschall Nedelin sowie vom Vizepräsidenten der Wissenschaftsakademie Mstislaw Keldysch und von Chefkonstrukteur Sergej Koroljow. Das ZK und der Ministerrat haben darauf am 11. Oktober mit einem geheimen Beschluss geantwortet. Unter dem Vermerk „Sow.(erschenno) sekretno. Ossoboj washnosti “ (zu Deutsch: „Abs.(olut) geheim. Von besonderer Wichtigkeit“) wird darin vorgeschlagen, für Dezember den Start eines Raumschiffes mit einem Menschen an Bord unter dem Code-Namen „Objekt Wostok 3A“ vorzubereiten.
 
Der Beschluss bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass die Sowjetunion die Ära der bemannten Raumfahrt schon erheblich früher einläuten wollte, um dem amerikanischen „Klassenfeind“ nach Sputnik 1957 auch in diesem Fall unbedingt zuvorzukommen. Dieser Traum ist aber im wahrsten Sinne des Wortes mit der R-16 geplatzt.
Schuld daran war Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow höchst persönlich. Er hatte entgegen dem dringenden Rat der Fachleute angeordnet, die Rakete zu starten, obwohl sie technisch noch nicht ausgereift war. Chruschtschow wollte am 12. Oktober auf der 15. UN-Vollversammlung in New York vor aller Welt verkünden, dass sein Land in einer „beispiellosen Geste“ seine Truppenstärke um 1,2 Millionen Mann reduzieren werde. Insgeheim aber wollte er diesen Kampfkraftverlust mit eben dieser neuen Interkontinentalrakete wieder wettmachen, die erstmals auch USA-Territorium erreichen konnte.

In der Nacht vom 21. zum 22. Februar 1961 gelingt dann der R-16-Start im zweiten Anlauf. In seiner Rede zum Tag der Sowjetarmee am 23. Februar sagte Chruschtschow daraufhin triumphierend, von nun an sei „alles möglich“.
 
(für dapd)