Berlin/Moskau/Washington — Kurz vor dem Start des US-Shuttles «Discovery» am 25. August ist zwischen russischen und amerikanischen Raumfahrtstatistikern ein Streit entbrannt. Während die Amerikaner bereits seit Mitte Juli ihren Astronauten Christopher Cassidy als «500. Menschen im All» feiern, sind die Russen der Meinung, dass dieses Jubiläum erst bei der bevorstehenden Mission fällig ist vorausgesetzt allerdings, die «Discovery» startet pünktlich.
Sollte sich die Raumfähre, wie das in letzter Zeit des Öfteren geschah, allerdings wieder einmal erheblich später zur Internationalen Raumstation ISS aufmachen, entfiele die Ehre möglicherweise sogar auf einen Russen, wie man im Stillen hofft. Denn die nächste ISS-Stammbesatzung startet am 30. September, und dann wäre der Kommandant von «Sojus TMA-16», Maxim Surajew, bei seinem Premierenflug die Nummer 500 in den Annalen.
Russen wie Amerikaner berufen sich bei ihren kosmischen Zahlenspielereien auf die Internationale Astronautische Föderation (IAF). Nach Ansicht des US-Onlinedienstes Space.com haben in den vergangenen 48 Jahren seit Juri Gagarin mit Abschluss der «Endeavour»-Mission (16.- 31. Juli) 447 Männer und 51 Frauen aus 36 Nationen die von der IAF festgelegte Grenze von 100 Kilometern über der Erde zum Weltraum überschritten. Sie machen dabei allerdings die Einschränkung, dass einige von ihnen unseren Planeten nicht auf einer Umlaufbahn umkreist, sondern nur suborbitale «Hüpfer» gemacht haben.
Die Russen sind hingegen der Meinung, in der Statistik dürften nur jene Berücksichtigung finden, die die Erde mindestens einmal umrundet haben. Danach gibt es in ihrem Verständnis bis dato erst 499 Kosmonauten oder Astronauten. Die vier Weltraumneulinge von der «Endeavour» – Douglas Hurley, Christopher Cassidy, Thomas Marshburn und Timothy Kopra – rangieren dabei auf den Plätzen 496 bis 499.
Startet die «Discovery», zu deren siebenköpfiger Crew erneut drei Neulinge gehören, pünktlich, plädieren die Russen für das Prinzip «Ladies first». Zum20500. Raumfahrer sollte danach die Astronautin Nicole Stott gekürt werden, die ihren Landsmann Kopra in der ISS ablöst. Die beiden anderen «Discovery»-Astronauten Kevin Ford und Jose Hernandez müssten sich also mit den undankbaren Plätzen 501 und 502 begnügen.
Bei ihrer Wahl von Cassidy zum Jubiläums-Flieger vor vier Wochen gingen die Amerikaner höchst demokratisch vor. Da sehr schwer zu bestimmen ist, wer von den vier Neulingen im Shuttle als Erster die 100-Kilometer-Marke überquert hat, ließ man d ie Besatzung vor dem Start abstimmen. Alle sieben entschieden sich für Cassidy.
Warum die einstimmige Wahl auf den 39-jährigen Vater von drei Kindern fiel, ist nicht bekannt. Möglicherweise gab dabei seine außergewöhnliche militärische Karriere den Ausschlag. Denn als Angehöriger des Navy SEAL Teams, einer Spezialeinheit der Marine, wurde Cassidy für seine Einsätze im Irak und in Afghanistan hoch dekoriert.
Die US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA hat sich bisher vornehm aus dem Streit herausgehalten. Die Moskauer Raumfahrtagentur Roskosmos stellt sich dagegen voll hinter den Journalisten und Statistiker Alexander Shelesnjakow. Der habe «sein ganzes Leben» der Erforschung der Erschließungsgeschichte des Weltraums gewidmet und «verdient zweifellos Vertrauen», betonte die Agentur.
Shelesjnakow selbst sieht sich bei seinen Berechnungen im Einklang mit der «Mehrheit der Staaten in der Welt». Fliegt die «Discovery» also wie geplant, dürfte der Streit erst einmal ad acta gelegt werden. Doch wenn der Russe Surajew ins Spiel kommt, gehen die Zahlenspielereien sicher weiter.
(Veröffentlicht am 20. August 2009)