Mo. Nov 25th, 2024

Berlin/Moskau — Eigentlich sind die Russen geduldige Leute. „Sawtra budjet“ – zu Deutsch etwa: „Das machen wir morgen“ – ist eines ihrer beliebtesten Sprichwörter. Das galt bisher auch in Bezug auf die Startverschiebungen der US-Shuttles zur Internationalen Raumstation ISS. Doch nachdem sich die Fälle in letzter Zeit häufen, scheint   Moskau jetzt so langsam mit seiner Geduld am Ende zu sein. Denn dadurch gerät die Fertigstellung der Station in Gefahr.

Die jüngste „Endeavour“-Mission hat offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Raumfähre ist Mitte Juli  erst im sechsten Versuch und damit einen Monat später als geplant zur ISS aufgestiegen.  Dadurch musste Russland  den Flugplan seines Frachters „Progress M-67“ ändern.  Das  automatische Raumschiff wurde zwar planmäßig am 24. Juli mit 2,5 Tonnen Nachschub zur ISS geschickt. Doch statt  normalerweise  zwei war sie fünf Tage unterwegs, weil der Shuttle noch an der Station vor Anker lag. Um „Zeit und Treibstoff zu sparen“, musste  der Frachter zudem per Hand angekoppelt werden. Ob das dem extrem langen Anflug geschuldet, bleibt zunächst offen.

Nachdem man bisher seinem Unmut eher hinter vorgehaltener  Hand Luft machte, ging Moskau nun an die Öffentlichkeit. Als erster maßgeblicher Offizieller meldete sich in der vergangenen W oche der Flugleiter des russischen ISS-Segments, Wladimir  Solowjow, zu  Wort.  Ihn beunruhige  die Tatsache, dass die Shuttle-Starts nicht exakt vorausgesagt werden können, sagte er in Moskau auf einer Pressekonferenz. Das führe zu einer „kolossalen Arbeit bei der Neuberechnung der ballistischen Parameter“ für die „Progress“-Frachter. Das sei eine „große Belastung für das Personal“, die „finanziell nicht kompensiert“ werde, fügte er hinzu.

Der  Chef der führenden russischen Raumfahrtschmiede RKK „Energija“, Anatoli Lopota, wurde inzwischen  noch deutlicher. Die  ständigen Veränderungen in der  Startgrafik der Shuttles führten zu „unvorhersehbaren finanziellen Verlusten“ für sein Land, weil das“ ganze Programm“ neu geschrieben werden müsse. Damit sei  „eine gewaltige Menge Menschen“ befasst. „Diese Mittel sind in unserem Haushalt nicht vorgesehen“, betonte Lopota. Er wich jedoch – noch – der Antwort auf die Frage aus, ob Russland dafür von den Amerikanern eine Entschädigung fordern werde.

Bereits im März hatte der derzeitige  Kommandant der ersten sechsköpfigen ISS-Stammbesatzung, Gennadi Padalka, in einer offenbar gezielten Indiskretion die künftige Marschroute der Russen verkündet.  Im Juni gehe man in der ISS zur strikten getrennten Rechnungsführung für das russische und amerikanische Segment über, sagte er. Eine Kommission werde auf der Erde streng die Einhaltung der „Scheidungsregeln“ überwachen, den jeweiligen Aufwand  der Seiten bilanzieren und ihnen erforderlichenfalls zu viel erbrachte Leistungen in Rechnung stellen.

Hauptgrund für die wachsende Ungeduld der  Russen ist die ungeklärte  Haltung der Amerikaner zur ISS.  Die  Shuttles sollen bis zum Herbst 2010 noch siebenmal zur Station starten und dann eingemottet werden. Bis dahin müssen sie unter anderem noch ein russisches Forschungsmodul, die Aussichtsplattform „Cupola“ und – auf Vorrat – zahlreiche großkalibrige Ersatzteile auf die Umlaufbahn gebracht werden. Danach ruht die gesamte Last des Personen- und der Großteil des Güterverkehrs zumindest bis 2015, wenn das neue US-Raumschiff „Orion“ fertig sein soll,  auf den Schultern der finanzschwachen Russen.

Große Sorge bereitet Moskau auch, dass die Amerikaner sich bisher nur bis 2012 bei den „Sojus“-Raumschiffen eingekauft haben, deren Zahl nach der Verdoppelung der ISS-Stammbesatzung auf sechs Mitglieder ebenfalls verdoppelt werden musste. Da der Bau der Kapseln einen Vorlauf von mindestens eineinhalb Jahren erfordert, brauchen die Russen das Geld für die Jahre 2013-15 spätestens im nächsten Jahr.

Zudem haben die USA bisher noch nicht entschieden, ob sie, wie von den anderen Partner einmütig=2 0gewünscht, der Verlängerung der ISS-Nutzungszeit bis mindestens 2020 zustimmen. Derzeit nimmt eine zehnköpfige Expertenkommission das neue US-Raumfahrtprogramm, das noch aus der Zeit von Präsident George W. Bush stammt, unter die Lupe. Das Ergebnis soll noch im August vorliegen.

(Veröffentlicht am 3. August 2009)