Koroljow, 10. Oktober 2010 — Das neue digitale Raumschiff Russlands hat den ersten Test mit Bravour bestanden. „Sojus TMA-01M“ hat am Sonntagmorgen überpünktlich um 02.01 Uhr deutscher Zeit mit den Russen Alexander Kaleri und Oleg Skripotschka sowie dem US-Astronauten Scott Kelly an Bord butterweich automatisch an der Internationalen Raumstation ISS angedockt. „Das Raumschiff hat extrem gut funktioniert, es war ein hundertprozentig automatischer Flug ohne nennenswerte Probleme“, freute sich der Chef des Herstellerwerkes „Energija“, Witali Lopota, im Flugleitzentrum (ZUP) in Koroljow bei Moskau. Mit dem Übergang von der analogen zur digitalen Technik sei ein „gigantischer Schritt vorwärts“ getan und der Grundstein für das Raumschiff der Zukunft gelegt worden. Die fünfte und wohl auch letzte Version der „Sojus“-Kapsel seit 1967 war am Freitagmorgen vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan gestartet.
Kaleri, Skripotschka und Kelly wurden mit großem Hallo begrüßt, als sie kurz nach 5.00 Uhr durch das russische Forschungsmodul „Poisk“ („Suche“) in die Station schwebten. Mit ihnen erreicht die 25. ISS-Stammbesatzung wieder ihre Soll-Stärke von sechs Mitgliedern. Seit Ende September waren die US-Astronauten Doug Wheelock und Shannon Walker mit ihrem russischen Freund Fjodor Jurtschichin allein an Bord. Bis Ende November arbeiten sie jetzt mit den Neuankömmlingen zusammen, dann kehren sie zur Erde zurück – und Kelly übernimmt als Chef der 26. Stammbesatzung das Kommando .
Die Nachfolger von Wheelock, Walker und Jurtschichin werden erst in der zweiten Dezember-Hälfte auf der Umlaufbahn erwartet, um das Sextett wieder zu komplettieren. Ihr Start, der eigentlich für den 13. Dezember geplant war, verzögert sich, weil ihr Raumschiff „Sojus TMA-20“ auf dem Eisenbahntransport von Moskau zum Kosmodrom beschädigt wurde und erst repariert werden muss.
Auf das neue Trio, das zum 100. Todestag des russischen Dichters Lew Tolstoi (1828-1910) eine Originalausgabe des Heldenepos´ „Sewastopoler Erzählungen“ auf die Umlaufbahn mitgebracht hat, wartet ein umfangreiches Arbeitsprogramm. Neben den täglichen Routine-Aufgaben empfangen Kaleri, Skripotschka und Kelly zwei Shuttles, mehrere unbemannte und bemannte russische Raumschiffe, den europäischen automatischen Frachter ATV-2 „Johannes Kepler“ und ein japanisches Versorgungsschiff. Hinzu kommen zwei Ausstiege in den freien Raum und 41 wissenschaftliche Experimente. Am 2. November steht zudem der 10. Jahrestag der 1. ISS-Stammbesatzung an.
Eine der ersten Aufgaben für die Männer ist die Montage einer neuen „Einrichtung“, die die Wiederholung eines Fehlers verhindern soll, durch den die 24. Stammbesatzung Ende September erst im zweiten Versuch von der ISS abkoppeln konnte. Damals war eines der beiden Signale ausgeblieben, die bestätigen, dass die Luke zwischen Station und Raumschiff hermetisch geschlossen ist. Dadurch war auch der Abkopplungsmechanismus blockiert. Ein bis heute nicht namentlich genannter Kosmonaut hatte nach offizieller Darstellung einen Hebel zu heftig bedient, so dass ein Bolzen brach.
Für Scott Kelly gibt es zum Missionsende im März noch ein Familientreffen der besonderen Art: Sein sechs Minuten älterer Zwillingsbruder Mark kommt als Commander mit der Raumfähre „Endeavour“ zur ISS. Damit sind zum ersten Mal Zwillinge gleichzeitig im All. Ironie der Geschichte: Im August 2007 hatte Scott – ebenfalls als Commander – mit demselben Shuttle an der Station angedockt.
Bei der Landung des Trios nach gut 160 Tagen müssen schließlich noch der neue Kontrollcomputer und die Abstiegssoftware ihre Bewährungsprobe bestehen. Dann kann 2012 nach zwei weiteren Tests der regelmäßige Pendelverkehr zwischen Erde und ISS beginnen. Für die Russen markiert das den Beginn der Nach-Shuttle-Ära. Denn die Raumfähren werden 2011 nach 30 Dienstjahren eingemottet. Die derzeitige Planung sieht nur noch zwei Missionen vor – im November diesen und im Februar/März nächsten Jahres. Möglicherweise gibt es noch einen dritten, allerletzten Start im Juni. Doch das wird sich erst in den kommenden Wochen entscheiden.