So. Sep 8th, 2024

Berlin — Für die USA war die bemannte Mondlandung vor 40 Jahren ein Triumph ohnegleichen, für ihren großen sowjetischen Antipoden hingegen eine Tragödie. Der „kleine Schritt für einen Menschen und große Sprung für die Menschheit“, den Neil Armstrong vollzog, als er am 21. Juli 1969 um 3.56 Uhr deutscher Zeit als erster Mensch seinen Fuß auf den Erdtrabanten setzte, besiegelte zugleich das Ende der Vorherrschaft der UdSSR im All.  

Der Schock, den die Sowjets den Amerikanern mit dem Start ihres  „Sputniks“ 1957 und vier Jahre später von Juri Gagarin versetzt hatten, war damit halbwegs kompensiert. Das Land atmete erleichtert auf und feierte seine neuen Helden mit Konfettiparaden. Die Russen dagegen zehren seither von der Substanz. Der frühe Tod von Chefkonstrukteur Sergej Koroljow im Januar 1966 beraubte sie des Spiritus Rectors  der Raumfahrt – ein Verlust, den keiner seiner Nachfolger auch nur annähernd wettmachen konnte. Deshalb fliegen sie heute noch mit Koroljows Sojus-Raketen und –Raumschiffen. Das Land Gagarins ist bestenfalls noch als „kosmischer Lohnkutscher“ bei kommerziellen Starts führend, wie selbst Ministerpräsident Wladimir Putin einräumt. Er hat deshalb die Raumfahrt zur Chefsache erklärt und will sie zu alter Blüte zurückführen – im Dienste der Sicherheit, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Mit der Einstellung der Shuttle-Flüge im September 2010 geben ihm die Amerikaner dafür eine Steilvorlage.

Der große Wettlauf um den Mond zwischen den USA und der damaligen UdSSR , der so gern in den Medien beschworen wird, hat indes nicht stattgefunden, wie wir heute wissen. Aus jüngst veröffentlichten Geheimdokumenten geht hervor, dass die Sowjetunion in ihrem Weltraumprogramm vom Dezember 1959 nur Mondautomaten plante. Von einer bemannten Mission war keine Rede. Dafür aber wollte sie schon 1974 einen Menschen zum Mars schicken. Daran änderte sich auch nach der berühmten Rede von Präsident John F. Kennedy am 25. Mai 1961 nichts, in der er als Antwort auf Gagarins Flug vom 12. April forderte, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Amerikaner  zum Mond zu schicken.  Das gelang dann auch quasi in letzter Minute.

Kremlchef Nikita Chruschtchschow ließ diese Herausforderung des „Klassenfeindes“ kalt, er reagierte nicht. Im Gegenteil: Die Russen machten sich unter Führung Koroljows an den Bau der schweren Trägerrakete „N 1“ und eines interplanetaren Raumschiffes (TMK) für den Marsflug. Die Einzelheiten dafür liegen jetzt in einem Buch von Wladimir Bugrow vor, der selbst an dem Projekt mitgearbeitet hat.

Doch im August 1964 wendet sich das Blatt. Chruschtschow lässt sich von Koroljows internen Gegnern Wladimir Tschelomej. Michail Jangel und Walentin Gluschko überreden, doch noch bemannt zum Mond zu starten.  Tschelomej, bei dem auch Chruschtschows Sohn Sergej arbeitet, erhält den Auftrag, eine Rakete für eine Mondumkreisung zu bauen, und Koroljow soll für die Landetechnik sorgen. Schon bald  wird  klar, dass Tschelomej  damit überfordert ist, und Koroljow muss auch die Mondrakete übernehmen. Er funktioniert daraufhin seine „N 1“, mit der er schwere Bauteile für seine Mars-Expeditionen nur auf eine erdnahe Umlaufbahn bringen wollte,  in eine Mondrakete um. Dazu musste die Nutzlast erheblich erweitert werden. Leider kam er  durch seinen plötzlichen Tod nicht dazu, sein Werk zu vollenden. Unter  Koroljows  Nachfolger Wassili Mischin lernte die  „N 1“ nie fliegen. Alle vier Startversuche zwischen 1969 und 1972 endeten im Desaster. Der Kreml schloss daraufhin das Programm und erklärte es zum Staatsgeheimnis.

Auch die TV-Direktübertragung der US-Mondlandung wurde verboten, die staatlich gelenkten Medien berichteten nur marginal.  Alexej Leonow, der der erste Sowjetbürger auf dem Mond sein sollte, erlebte die Landung von Armstrong und Buzz Aldrin am Morgen des 21. Juli gemeinsam mit hohen Militärs und  Geheimdienstexperten  im Forschungszentrum der Sowjetarmee in Moskau. Er sei auf die beiden Männer „neidisch“ gewesen, allerdings auch „voller Bewunderung“ für ihre Leistung, schrieb er später in einem Buch.

Bei dem neuen Sturm auf dem Mond, an dem sich auch die neuen Raumfahrtmächte Europa, China, Japan und Indien beteiligen, wird Russland wieder gegen die USA den Kürzeren ziehen. Denn die wollen schon 2019, zum 50. Jahrestag der ersten Mondlandung, wieder bemannt zum Erdtrabanten fliegen, die Russen frühestens  2025.

Die Weltraumpioniere Armstrong und Gagarin sind sich nie persönlich begegnet, da der russische Bauernsohn schon 1968 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Dennoch hat der Amerikaner ihm ein bleibendes Denkmal gesetzt. „Er hat uns alle in den Weltraum gerufen“, sagte Armstrong einmal im Gedenken an
Gagarin – ein Spruch, der die Russen mit vielem versöhnt.
(Veröffentlicht am 17. Juli 2009)