Moskau, 5. Oktober 2010 — Russland hat seinem in die Jahre gekommenen „Sojus“-Raumschiff eine
Frischzellenkur verordnet. Unter der Typenbezeichnung „TMA-M“ fliegt es am Freitagmorgen (8. Oktober) erstmals voll digitalisiert zur Internationalen Raumstation ISS. Am heutigen Dienstag ist es zur Startrampe gebracht worden.Auf der nunmehr fünften und wohl auch letzten Version der jetzt technisch ausgereizten legendären dreisitzigen Kapsel, deren Basismodell bereits 1967 (!) in Dienst gestellt wurde, lastet eine große Verantwortung: Sie muss in den nächsten fast zehn Jahren den reibungslosen Personenverkehr zwischen Erde und Orbit gewährleisten. Der größere und leistungsfähigere Nachfolger „Rus“ steht nämlich frühestens 2018 zur Verfügung – wenn alles nach Plan läuft. Bis dahin müssen die „Sojus“-Schiffe durchhalten, sonst gerät das ISS-Programm in Gefahr.
Kommandant von „Sojus TMA-01M“ ist mit Alexander Kaleri einer der erfahrensten russischen Kosmonauten. Er war bereits viermal im All und hat dabei 610 Tage in der Schwerelosigkeit gearbeitet. Zudem kennt der 54-Jährige als Chef der Flugtest-Abteilung beim „Sojus“-Hersteller „Energija“ das neue Raumschiff aus dem Effeff. Ihm zur Seite steht beim ersten von drei Testflügen sein Landsmann Oleg Skripotschka, ein Weltraumneuling, der ebenfalls bei „Energija“ arbeitet. Dritter Mann an Bord ist der US-Astronaut Scott Kelly, der zwei Shuttle-Missionen auf seinem Konto hat.
Das russisch-amerikanische Trio muss beim zweitägigen Flug zur Station insbesondere die neue Steuerung sowie die Kopplungs- und Kommunikationssysteme gründlich testen. Insgesamt sind 36 analoge durch 19 digitale Systeme ersetzt worden. Dadurch verringerten sich auch die Masse des Raumschiffes um rund 70 Kilogramm und sein Energieverbrauch.
Herzstück der neuesten „Sojus“-Version, die sich rein äußerlich von ihrem „TMA“-Vorgänger nicht unterscheidet, ist der neue Bordcomputer. Er kann nach offiziellen Angaben acht Millionen Operationen pro Sekunde durchführen und hat einen Arbeitsspeicher von 2000 KB. Zudem wurde seine Lebensdauer auf 35.000 Stunden erhöht. Der Rechner hat allerdings noch viel „Luft nach oben“ und soll nach entsprechender Aufrüstung auch auf den geplanten „Rus“-Nachfolgern eingesetzt werden. Unter dem Strich versprechen sich die „Energija“-Ingenieure von ihrem neuen „Kind“ eine Erhöhung der Sicherheit und Funktionalität, eine bessere Kompatibilität mit der ISS, eine Steigerung der Nutzlast und nicht zuletzt den Einstieg in das Raumschiff der Zukunft, das bislang nur auf dem Reißbrett existiert.
Die Erfolgsgeschichte der „Sojus“-Schiffe, die bisher rund 110 Mal geflogen sind, hatte im April 1967 mit einer Tragödie begonnen. Die noch nicht voll ausgereifte Kapsel stürzte beim Erstflug ab, weil das Fallschirmsystem versagte. Pilot Wladimir Komarow kam dabei ums Leben. 1980 und 1987 übernahmen die Versionen „Sojus T“ (Transport) und „Sojus TM“ (Transport/modifiziert) den Staffelstab. Seit 2002 fliegen die „Sojus TMA“ zur ISS, wobei das A für anthropologisch steht, weil sie über größere Sitze speziell für die US-Mitflieger verfügen. Bis Ende 2011 stehen für sie noch drei Starts auf dem Plan, dann kommt die große Zeit der Digitalen mit dem zweiten M im Namen.
(für dapd)