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Credit: Roskosmos
Credit: Roskosmos

Moskau, 7. September 2010 — Ein unwürdiges Schauspiel erregt derzeit die russische Öffentlichkeit. Es geht um die Frage, ob ein Kosmonaut nach seinem ersten Raumflug wie bisher automatisch mit dem Goldenen Stern eines „Helden Russlands“ ausgezeichnet werden muss. Im Gegensatz zu den zivilen Instanzen stellt das Verteidigungsministerium diese Tradition, die mit dem historischen Flug von Juri Gagarin am 12. April 1961 begründet wurde, offenbar infrage. Kosmosveteranen wie Alexej Leonow, aber auch Vertreter der jüngeren Raumfahrergeneration und viele Weltraumenthusiasten laufen dagegen Sturm. In den Medien ist von einem „Skandal kosmischen Ausmaßes“ die Rede.

Der Streit zwischen der Raumfahrtagentur Roskosmos und dem Ministerium ist an Maxim Surajew entbrannt. Der 38-jährige Luftwaffenoberst war im März von seinem Langzeitflug in der Internationalen Raumstation ISS zurückgekehrt. Zusammen mit dem US-Astronauten Jeff Williams hatte er fast ein halbes Jahr lang in der Station gearbeitet und dabei über 50 wissenschaftliche Experimente und einen „Weltraumspaziergang“ absolviert. Nebenbei hat er mit seiner unkonventionellen Art für viel frischen Wind gesorgt. Als erster Russe berichtete er nämlich in einem Blog frei von der Leber weg über das Leben in der Station. Dabei brach er allerdings auch manches Tabu. Zudem machte er mit der Züchtung einer Weizensorte Furore. Dass er sich dabei über Anweisungen der Wissenschaftler auf der Erde hinwegsetzte, wird dem Offizier jetzt möglicherweise als grobe Pflichtverletzung angekreidet.

Zweimal hat das Ministerium den Auszeichnungsantrag von Roskosmos abgelehnt – „njet!“. Es gebe für die Verleihung des Helden-Titels „keine ausreichenden Gründe“, hieß es nur lapidar. Roskosmos wandte sich deshalb an Präsident Dmitri Medwedjew als letzter Instanz. Mit einer Entscheidung des Kremls wird in allernächster Zeit gerechnet.

Viele Russen verstehen die Welt nicht mehr. Denn wer, wenn nicht die gut  100 Frauen und Männer, die unter Einsatz ihres Lebens in den Weltraum geflogen sind, hätte die höchste Auszeichnung des Landes verdient? In der ehemaligen UdSSR wurden sogar die Raumfahrer der „Bruderstaaten“ nach den gemeinsamen Kosmosmissionen mit dem Helden-Stern geehrt, so auch DDR-Kosmonaut Sigmund Jähn 1978.

Zweifach-Held General Leonow sieht in der Verweigerung des Titels für Surajew sogar einen eklatanten Verstoß gegen geltendes Gesetz. Der Kosmonaut habe alle Voraussetzungen für die Verleihung dieser Auszeichnung voll erfüllt, wetterte er. Da das Ministerium aber scheinbar beratungsresistent sei, werde er den Fall auf dem Kongress der Putin-Partei „Einiges Russland“ zur Sprache bringen.

Viele beklagen den offensichtlichen Verfall von Werten und Sitten. Heute gelten Banker, Manager, Pop-Sänger oder Staatsfunktionäre mehr als Kosmoshelden, heißt es in Internet-Foren. Für sie sei Surajew ein Held, ob nun mit oder ohne offizielle Bestätigung. Roman Romanenko, der 2009 ein halbes Jahr in der ISS war, berichtete, dass ihn fast das gleiche Schicksal wie sein Kollege ereilt hätte. Sein erster Antrag sei auch abgelehnt worden, doch dann hätten ihn ein Live-Gespräch von Medwedjew mit der ISS-Besatzung und ein überraschender Besuch von Premier Putin im „Sternenstädtchen“ am 12. April, dem Tag Raumfahrt, quasi gerettet.

(für dapd)