Baikonur, 15. Juni 2010 — Das russisch-amerikanische Astronauten-Trio, das sich seit Mittwochnacht mit der „Sojus TMA-19“-Kapsel auf dem Weg zur Internationalen Raumstation ISS befindet, hat neben seinen eigentlichen Aufgaben auch einen Sonderauftrag im Gepäck. Fjodor Jurtschichin und seine US-Astronautenkollegen Shannon Walker und Doug Wheelock sollten sich bei ihrer Langzeitmission auch Gedanken über neue wissenschaftliche Programme und die Zeit nach der ISS machen, bat der Chef der Raumfahrtagentur Roskosmos, Anatoli Perminow, bei der traditionellen „Teestunde“ am Vorabend des Starts. „Wir sind neugierig, Ihre Meinung nach dem Flug zu hören“, sagte der General.
Perminow griff damit ein Thema auf, das bei seinem Besuch auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA 2010 in Berlin-Schönefeld in der vergangenen Woche ein große Rolle gespielt hat. So sei bei seinen Gesprächen mit den Chefs der Partneragenturen der Vorschlag gemacht worden, auf der Grundlage der ISS eine Plattform zu schaffen, auf der Kosmonauten und Astronauten aus mehreren Modulen ein Raumschiff zusammenbauen könnten, um es zum Mond, zum Mars oder zu einem Asteroiden zu schicken. „In diesem Fall brauchen wir keine schweren Trägerraketen, und wir müssen uns auch keine Sorgen um die Triebwerke machen“, betonte der General. Im erdnahen Raum könne man „Raumschiffe mit Ionen-, Sonnen-, nuklearen und anderen Triebwerken“ bauen. Dieses Programm sei „sehr interessant“, fügte er hinzu. Es werde auch von der Europäischen Union (EU) und vom Chef der Europäischen Weltraumorganisation ESA, Jean-Jacques Dordain, unterstützt.
Nach Ansicht des Roskosmos-Verantwortlichen für bemannte Raumflüge, Alexej Krasnow, muss die Station der nächsten Generation ein „modularer Experimentalkomplex“ sein. „Wir möchten diese wissenschaftliche Forschungsarbeit gemeinsam mit unseren Partnern beginnen, sind aber auch bereit, es allein zu tun“, sagte er. So könnte man einen auch vorerst kleinen „Apparat“ bauen, der von der Station abgekoppelt werde und danach zu ihr zurückkehre.
„Sojus TMA-19“-Kommandant Jurtschichin griff diesen Gedanken auf und machte gleich einen konkreten Vorschlag. Schon heute könnten dafür die automatischen „Progress“-Frachter genutzt werden, die Nachschub zur ISS transportieren und dann gezielt über dem Südpazifik zum Absturz gebracht werden. Man könne sie doch auch mit einer Rückkehrkapsel ausstatten, regte er an.
Jurtschichin, Walker und Wheelock stehen in der ISS fünfeinhalb Monate harter Arbeit bevor. Gemeinsam mit ihren Kollegen Alexander Skworzow, Michail Kornijenko (beide Russland) und Tracy Caldwell Dyson (USA), die seit April auf der Umlaufbahn sind, haben sie nicht nur ein umfangreiches wissenschaftliches, Reparatur- und Wartungsprogramm zu erfüllen. Sie müssen auch ihr Raumschiff umkoppeln, Fachter entladen, einen Außenbordeinsatz absolvieren und zumindest einen US-Shuttle empfangen, wenn es bei dem derzeitigen Startplan der Amerikaner bleibt. Dennoch werden Jurtschichin und Co. die Zeit finden, der Bitte von Perminow nachzukommen. Denn niemand ist mehr an einer Fortsetzung der ISS-Mission interessiert als sie, und niemand weiß besser, was dafür getan werden muss.