Am Dienstag gedachte die internationale Raumfahrtgemeinde des 50. Todestages von Juri Gagarin, der am 27. März 1968 bei einem Kontrollflug mit seinem Instrukteur Wladimir Serjogin unter leider immer noch ungeklärten Umständen ums Leben kam. Und wie stets hofften die Fans, dass zu diesem traurigen Anlass durch neue Veröffentlichungen wenigstens ein bisschen mehr Licht ins Dunkel dieser Tragödie gebracht würde. Doch weit gefehlt. Es gab nicht einmal eine zentrale Gedenkfeier.
Die GK Roskosmos als oberste Raumfahrtbehörde Russlands veröffentlichte zwar am 23. März 2018 auf ihrer Homepage einen ausführlichen Beitrag unter dem Titel „Vor 50 Jahren kam Juri Gagarin ums Leben“. Doch beim genauen Hinsehen zeigte sich, dass dort nur das wiederholt wurde, was schon zum 50. Jahrestag des Fluges Gagarins 2011 bekannt war. Die These lautet immer noch, Gagarin sei durch eine verhängnisvolle Verknüpfung unglücklicher Umstände ums Leben gekommen. Bereits 2005 war ein unter anderem auch von der ersten Frau im All, Walentina Tereschkowa, unterstützter Antrag abgelehnt worden, eine neue Untersuchung der nationalen Tragödie einzuleiten. Zur Begründung hieß es damals aus der Administration von Präsident Wladimir Putin lediglich, es gebe keinen Grund, die Untersuchungsergebnisse von 1968 in Zweifel zu ziehen. Deshalb sei eine zusätzliche Untersuchung „nicht zielführend“. Ich habe bisher nicht herausbekommen können, ob diese Antwort vom Präsidenten selbst oder nur von seinem Stab formuliert wurde. Eines aber ist klar: Die Untersuchung von 1968 sollte ergebnislos ausgehen, um nicht jene zur Rechenschaft ziehen zu müssen, die für die „unglücklichen Umstände“ verantwortlich waren.
Und zu diesen „Umständen“ gehörten unglaubliche Schlamperei und die eklatante Missachtung von Vorschriften bei der Flugvorbereitung. So wurden Gagarin und Serjogin mit Zusatztanks an den Tragflächen, was absolut verboten war, und falschen Wetterdaten losgeschickt. Zudem war das Höhenradar des Flughafens defekt. Die dafür Verantwortlichen wurden 2011 in einem gesonderten Untersuchungsbericht des KGB namentlich aufgeführt.
Inzwischen sind wieder viele Jahre ins Land gegangen, in denen neue Fakten und Thesen bekannt wurden, denen nachgegangen werden müsste. Denn es gilt ja immer noch das ungeschriebene Gesetz, dass Flugunfälle unbedingt aufgeklärt werden müssen, um künftig die Wiederholung zu vermeiden.
Am lautesten hat sich vor dem Todestag Gagarins ehemaliger Freund Alexej Leonow zu Wort gemeldet. Der erste „Weltraumspaziergänger“ wiederholte in zahllosen Interviews in Wort und Bild sowie in zwei Büchern seine alte Behauptung, er wisse, wie Gagarin zu Tode gekommen sei und kenne sogar den Namen des dafür Schuldigen. Es handele sich um einen ehemaligen Su-15-Piloten und Helden der Sowjetunion, der ungewollt in Überschallgeschwindigkeit in nur 15 bis 20 Metern an Gagarins Maschine vorbeigeflogen sei und sie aus der Bahn geworfen habe. Der Mann sei inzwischen über 90 Jahre alt und lebe schwerkrank in Sibirien. Präsident Putin habe ihm zu seinem 80. Geburtstag 2014 den Namen des Mannes genannt und ihn zugleich gebeten, diesen nicht öffentlich zu machen, teilte Leonow mit.
Hierzu fällt mir ein, dass diese Behauptung Leonows, die übrigens von Gagarins Familie öffentlich als Lüge bezeichnet wird, den Tatbestand eines Offizialdeliktes erfüllt und somit ein Fall für die Staatsanwaltschaft wäre. Die GK Roskosmos hat bezeichnenderweise selbst Leonows Auftritt ignoriert und ist damit ihrem Schweigegelübde treu geblieben.
In einem Fall hat sie sich aber doch zumindest zeitweilig bewegt – um dann jedoch wieder einen Rückzieher zu machen. Der Ex-Luftwaffenoberst Nikolai Konstantinowitsch Sergejew, der das von mir herausgegebene Buch „Juri Gagarin – Der Tod einer Legende – Wie es war“ geschrieben hat, wurde zu meiner Überraschung Ende vergangenen Jahres von der GK Roskosmos nach Moskau eingeladen, um für einen Film zum Gagarin-Todestag interviewt zu werden. Das Gespräch vor der Kamera hat dann auch stattgefunden und zweieinhalb Stunden gedauert. Allerdings wurde dem Ex-Obersten dann wenig später mitgeteilt, seine Aussagen seien nicht verwendet worden.
Am 27. März wurde nun dieser Film spät am Abend im russischen Fernsehen ausgestrahlt. Auch er befasst sich nur mit der ersten Untersuchung. Das einzig Neue für mich war die Mitteilung der Mitarbeiterin des Zentralarchivs des Verteidigungsministeriums, dass es von dem Untersuchungsbericht nur noch das Original gebe. Die beiden Kopien seien vernichtet worden.
Auch nach dem traurigen Gagarin-Jubiläum steht somit weiterhin die Forderung nach einer neuen, umfassenden und möglichst internationalen Untersuchung im Raum. Das sind wir dem Kosmospionier, seiner Familie und der internationalen Raumfahrtgemeinde schuldig.
© Gerhard Kowalski