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Roskosmos KG LogoBerlin,  29. Dezember 2016 – Russlands Raumfahrt hat dem Land im zu Ende gehenden Jahr einige schöne Siege beschert,  musste aber auch herbe Niederlagen einstecken. Das offenbart sich insbesondere im schmerzlichen Verlust seiner Führungsrolle bei den weltweiten Raketenstarts und im Absturz eines Frachtraumschiffes im Dezember. Der Staatskonzern GK Roskosmos zieht dennoch eine positive Bilanz. „Die Branche befindet sich in einem stabilen Zustand“,  sagte Roskosmos-Vizechef Juri Wlassow in einem Rundfunkinterview. „Natürlich wollten wir,  dass dieses Jahr ohne Havarien abläuft,  aber das ist nicht gelungen.“

Auf der Haben-Seite von 2016 steht der erste Start einer Sojus-Trägerrakete vom neuen Zivilkosmodrom Wostotschny im Amur-Gebiet am 28. April ganz oben. Damit hat Russland einen wichtigen Schritt nach vorn bei dem Bestreben getan,  sich von Kasachstan unabhängig zu machen,  auf dessen Territorium seit dem Zerfall der Sowjetunion sein wichtigstes Kosmodrom,  Baikonur,  liegt. Doch bis von Wostotschny das erste Mal russische Kosmonauten mit neuen Trägerraketen und Raumschiffen ins All starten können,  vergehen noch mindestens sechs Jahre. Für 2017 sind nur zwei unbemannte Starts vorgesehen. Man muss sich also weiter mit Kasachstan gut stellen.

Als großen Erfolg wertet Moskau auch den Start der europäisch-russischen Sonde ExoMars-2016 am 14. März. Zwar ist der Lander Schiaparelli dann auf dem Roten Planeten zerschellt,  doch die russischen Wissenschaftler sind sich ziemlich sicher,  dass sich diese Panne 2020 beim zweiten Teil der Mission nicht wiederholen wird,  weil sie den ESA-Rover mit ihrer etwas anderen Technologie ans Ziel bringen werden.

Als Pluspunkte gelten ferner die Verabschiedung des Föderalen Raumfahrtprogramms (FKP) für die Jahre 2016 bis 2025,  selbst wenn das inzwischen schon wieder wegen der angespannten Wirtschaftslage finanziell erheblich abgespeckt wurde,  der Einjahresflug des russischen Kosmonauten Michail Kornijenko mit seinem  US-Kollegen Kollegen Scott Kelly in der Internationalen Raumstation ISS und die Feierlichkeiten zum 55. Jahrestag des Fluges von Juri Gagarin vom 12. April 1961. Diese standen unter dem Motto „Erhebe Dein Haupt!,  was kritische Geister als einen Aufruf verstanden haben,  sich offen mit den vielen noch vorhandenen Unzulänglichkeiten der Branche auseinander zu setzen.

Als größte Niederlage des Jahres wird wohl empfunden,  dass Russland seine führende Position bei den Weltraumraketenstarts verloren hat. Baikonur,  das nordrussische Militärkosmodrom Plessezk und Wostotschny brachten es zusammen nur auf 16 gelungene Starts. Hinzu kamen zwei in Kourou (Französisch-Guyana).  Das bedeutet Minusrekord. Zum ersten Mal seit 1999 wurde das Land damit von den USA und China überholt. Das wiegt umso schwerer,  als Russland damit nach Ansicht von unabhängigen Experten die einzige Spitzenposition eingebüßt hat,  die es in der Raumfahrt noch besaß.

Und natürlich lastet den Russen der Absturz des Frachters Progress MS-04 vom 1. Dezember auf der Seele,  der neben teuren und einzigartigen wissenschaftlichen Geräten und Ausrüstungsgegenständen auch Weihnachtspost- und –päckchen für die russisch-amerikanisch-französische ISS-Besatzung auf die Umlaufbahn bringen sollte. Das war nicht nur ein  rabenschwarzer Abschluss des Jahres,  dessen Folgen noch nicht abzusehen sind,  weil von der lückenlosen Aufklärung der Ursachen der Katastrophe abhängt,  wann die Versorgungsflüge wieder aufgenommen werden können.

Inzwischen ist auch die US-Luft- und Weltraumbehörde NASA in die Untersuchungen einbezogen worden. Gemeinsam analysiert man jetzt ähnliche Havarien bis in die 70-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts,  wie die Zeitung Iswestija am Donnerstag berichtet. Das Hauptproblem besteht danach darin,  dass sich die Havarie innerhalb von nur Millisekunden abgespielt hat. Auch der letzte Start des Jahres,  der für den 28. Dezember geplant war,  wurde gecancelt,  weil die Proton-Rakete und deren Oberstufe noch einmal überprüft werden müssen.

Bei den Jubiläen und anderen Vorhaben ragt 2017 vor allem im Oktober der 60. Jahrestag des Starts des Sputniks heraus,  des ersten künstlichen Erdsatelliten der Welt. Der wird natürlich gebührend gewürdigt und gefeiert. Als einschneidende Maßnahme muss indes gewertet werden,  dass Russland das ganze Jahr über die Zahl seiner Kosmonauten in der ISS von drei auf zwei reduziert. Offiziell wird das als Beitrag zur Erhöhung der Effektivität der Arbeit im russischen Segment verkauft. In Wahrheit dürfte dahinter aber wohl eher der strikte Sparzwang des Staatskonzerns KG Roskosmos stehen,  dessen Finanzforderungen für das FKP 2016-25 schon rigoros auf die Hälfte zusammengestrichen wurden. Jetzt werden die Gelder noch einmal um mindestens 10 Prozent gekürzt.

Das hat nicht nur die Kosmonauten,  sondern auch die Wissenschaft zu harschen Protesten bewogen. So beklagte sich Fjodor Jurtschichin,  dass die Kosmonauten dadurch sogar ihre Freizeit für die Lösung der Flugaufgaben opfern müssten. Oleg Skripotschka verwies darauf,  dass die Arbeit in der Station aus zwei „Blöcken“ bestehe –  der Bedienung und Wartung der Bordsysteme und der Arbeit mit den Nutzlasten. Da die Zeit für den ersten Block nicht verringert werden könne,  verkürze sich die Zeit für die Experiment auf die Hälfte.

Der Kosmos-Rat der Akademie der Wissenschaften (RAN) protestierte in einem Brandbrief an Roskosmos gegen die Streichung von Mitteln für die Grundlagenforschung unter anderem in den Bereichen Astrophysik,  Planetenforschung und kosmische Biologie. Das führe zu einer „unumkehrbaren Degradation des Systems der Entwicklung von perspektivischen wissenschaftlichen Vorschlägen zu Weltraumprojekten von wissenschaftlicher Bedeutung“,  sagte der wissenschaftliche Leiter des Instituts für Astronomie,  Boris Schustow,  einer Nachrichtenagentur.

Wenn es nach dem Willen von Vizepremier Dmitri Rogosin geht,  vollzieht Russland 2017 mindestens 23 Weltraumstarts –  15 in Baikonur,  6 in Plessezk und 2 in Wostotschny –  andere Quellen sprechen von 29. Die Hauptaufgabe sei dabei,  das Programm ohne Havarien durchzuziehen,  forderte der für das Militär und die Raumfahrt zuständige Politiker.

Das neue Jahr bringt neben dem 80. Geburtstag von Walentina Tereschkowa und dem 90. Geburtstag von Wladimir Schatalow noch weitere nennenswerte Ereignisse:  Die erste Ausschreibung für Kosmonautenkandidaten für den Sojus-Nachfolger Federazija,  den Beginn einer ganzen Serie von russisch-amerikanischen Isolations-Experimenten zur Vorbereitung auf künftige Mars-Flüge,  den letzten Sojus-U-Start,  die Premiere des Weltraumroboters Spotty,  die Wiedereröffnung des legendären Kosmos-Pavillons auf der Moskauer Volkswirtschaftsausstellung und,  nicht zu vergessen,  das russisch-deutsche Experiment ICARUS (International Cooperation for Animal Research Using Space).

Dabei geht es um die Beobachtung von Tierwanderungen auf der Erde aus der ISS mittels neuer Miniatursender von der Größe eines Daumennagels,  mit denen Vögel ausgestattet werden. Federführend auf deutscher Seite ist das Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee. Die dafür erforderliche Antenne soll mit einem russischen Progress-Frachter zur ISS gebracht und dann beim einzigen für 2017 geplanten russischen Ausstieg in den freien Raum an der Außenhaut der Station montiert werden.

© Gerhard Kowalski