Berlin/Moskau — Ungeachtet der Finanzkrise treibt Russland den Aufbau seines globalen Satellitennavigationssystems „Glonass“ (Globalnaja Nawigazionnaja Sputnikowaja Sistema) planmäßig voran. Derzeit sind 20 Satelliten auf der Umlaufbahn in 19.100 Kilometern Höhe. Damit deckt das System das russische Territorium zu 99 Prozent und den Globus zu 80 Prozent ab.
Die Finanzierung für die jeweils sechs weiteren Satelliten, die Ende 2009 und 2010 gestartet werden sollen, sei “in vollem Umfang“ gesichert, teilte der Chef der Herstellerfirma „Navigations- und Informationssysteme“ (NIS) , Nikolai Testojedow, jetzt in Moskau mit. Ende 2010 soll „Glonass“ mit 24 Satelliten (plus 6 in Reserve) global verfügbar sein. Russland macht sich damit vom US-amerikanischen Konkurrenten GPS unabhängig und kommt auch dem europäischen „Galileo“-System zuvor, das erst 2013 in Dienst gestellt werden soll.
Die optimistische Voraussage Testojedows gründet sich auf die feste Entschlossenheit der Moskauer Führung, das für sie volkswirtschaftlich wie geopolitisch bedeutsame Projekt mit allen Mitteln zu verwirklichen. „Viele unserer kosmischen Heldentaten und kosmischen Errungensc haften wurden zum Teil trotz der ökonomischen Lage vollbracht“, sagte Präsident Dmitri Medwedjew am Tag der Raumfahrt (12. April) rückblickend bei einer Begegnung mit Kosmonauten. Deshalb gebe es heute erst recht „keinerlei Gründe, die Lage wegen der wirklich globalen Finanzkrise zu dramatisieren“. Man werde weiter in die Raumfahrt, die Wissenschaft, die Produktion und die „Verteidigungstechnologien“ investieren, „weil sich das Leben nicht aufhalten lässt“, betonte er. Wenn Russland heute die Entwicklung auch nur zeitweise unterbreche, werde es „um Jahrzehnte zurückgeworfen“.
Ministerpräsident Wladimir Putin, der “Glonass“ noch in seiner Zeit als Präsident zur Chefsache erklärt hatte, will die Raumfahrt zu einer treibenden Kraft der sozial-ökonomischen Entwicklung seines Landes machen. Mit seinem rund zwei Milliarden Euro teuren Lieblingskind soll die Kosmostechnik auch sichtbar Einzug in den Alltag halten – in die Autos von Iwan Iwanowitsch, dem russischen Otto Normalverbraucher.
Ob dieser Traum Putins aber auch gleich in Erfüllung geht, darf bezweifelt werden. Denn die Industrie hinkt bei der Produktion der Empfangsgeräte und der Software hoffnungslos hinterher. Bisher gibt es in den Geschäften nur sporadisch Navis zu kaufen, zudem ist das Kartenmaterial bisher erst für ausgesuchte Regionen, so Moskau und Umgebung, verfügbar. Viele Autofahrer greifen deshalb weiter auf die kompatible GPS-Technik zurück. Der Grund für die Misere ist, dass „Glonass“ anfangs nur dem Militär vorbehalten war und erst unter dem Einfluss von GPS zögerlich auch für zivile Zwecke freigegeben wurde.
Mit der Fertigstellung von „Glonass“, das dann über drei zivile Kanäle verfügt, geht eine jahrzehntelange Odyssee zu Ende, die noch zu Sowjetzeiten begann. 1982 wurde der erste Satellit gestartet. Im Dezember 1995 erreichte das System kurzzeitig die Sollstärke von 24 Apparaten. Doch dann zerfiel es aus Geldmangel wieder. Ende 2001 waren nur noch ganze sechs Satelliten einsatzfähig. Russland war damit auf das GPS-System angewiesen. Anfang 2008 waren nach Angaben des Verkehrsministeriums 1200 der 5000 russischen Flugzeuge mit Satellitennavigation ausgerüstet. Allerdings flogen fast 90 Prozent davon mit GPS, nur gut zehn Prozent mit „Glonass“. Dieses Verhältnis hat sich inzwischen nur leicht zu Gunsten des eigenen Systems verbessert.
(Veröffentlicht am 24. April 2009)