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Credit: Roskosmos
Credit: Roskosmos

Moskau, 2. Mai 2010 — Nach der Panne bei der Ankopplung eines russischen Frachters mit knapp 2,6 Tonnen Nachschub am Samstag an der Internationalen Raumstation ISS hat die Fehlersuche begonnen. Eigentlich sollte „Progress M-05M“ wie gewohnt automatisch andocken. Doch rund 1000 Meter von der Station entfernt kam es zu einem technischen Problem, dessen Ursache noch nicht feststeht. Daraufhin erhielt ISS-Kommandant Oleg Kotow die Weisung, das Anlegen per Hand zu vollziehen. Der 44-jährige Russe entledigte sich dieser Aufgabe, die zum normalen Trainingsrepertoire aller Kosmonauten gehört, mit großer Präzision. Um 20.30 Uhr deutscher Zeit – rund fünf Minuten früher als geplant – war das komplizierte Manöver, das viel Fingerspitzengefühl erfordert, abgeschlossen. Der Frachter liegt seitdem sicher am Verbindungsmodul „Pirs“ vor Anker.

Während Kotow und seine fünf Raumfahrerkollegen von der 23. Stammbesatzung kurz vor Mitternacht mit der Entladung des Nachschubs begonnen haben, wird im Flugleitzentrum (FLZ) in Koroljow bei Moskau und beim Herstellerkonzern „Energija“ intensiv nach den Ursachen für die Panne gesucht. Derzeit sind zwei Versionen in Umlauf. Die offizielle Raumfahrtagentur Roskosmos teilte mit, möglicherweise handele es sich um einen Triebwerkschaden bei „Progress M-05M“. Die Nachrichtenagentur Interfax meldete dagegen, das automatische Annäherungssystem „Kurs“ habe versagt. Das FLZ, das sicher am besten im Bild ist, hält sich indes bisher auffallend zurück. Hier hieß es lediglich, in der Endphase der Annäherung sei man zur Handsteuerung übergegangen.
Offenbar hat sich die Panne schon bald nach dem Start des Frachters am Mittwoch vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan angedeutet. Denn Roskosmos hat in der Vorankündigung der Kopplung explizit darauf hingewiesen, dass für den Fall der Fälle Kotow und sein Landsmann Alexander Skworzow bereit stünden, das Manöver per Hand vorzunehmen. Normalerweise wird das nicht besonders erwähnt, weil es zu den Selbstverständlichkeiten gehört. Doch diesmal ist die Situation auch eine andere. Sollte sich der Fehler als ernsthaft herausstellen, könnte das erhebliche Folgen für das ISS-Programm haben. Denn die Russen sind nach Einstellung des Shuttle-Programms allein für die Versorgung der Station mit Menschen und Material verantwortlich. Allerdings gelten die neuen, digitalen Frachter auch als besonders zuverlässig.
Die Kosmonauten übernehmen Aufgaben wie die Handkopplung übrigens sehr gern. Früher spielten dabei neben dem Nachweis der professionellen Fähigkeiten auch Geldfragen eine nicht geringe Rolle. Denn für jede solche „dynamische“ Aktion, so auch für Ausstiege in den freien Raum, gab es Extra-Prämien in drei- bis vierstelliger Dollar-Höhe. Nachdem die Kosmonauten jetzt aber für ihre Langzeitmission pauschal mit 130 000 bis 150 000 Dollar entlohnt werden, zählt nur noch die meisterliche Beherrschung solcher Ausnahmesituationen.
„Progress M-05M“ bringt unter anderem Treibstoff, Lebensmittel, Trinkwasser, Sauerstoff, wissenschaftliche Geräte, Ersatzteile und Verbrauchsmaterial zur Station. Mit an Bord sind auch Werkzeuge für die Montage des Kleinen Forschungsmoduls (MIM-1) „Rasswet“ (Morgendämmerung) der Russen, das mit der US-Raumfähre „Atlantis“ Mitte Mai auf die Umlaufbahn gebracht wird. Die sechs Astronauten aus Russland, den USA und Japan können sich zudem auf Päckchen und Post von ihren Familien sowie auf neue Filme und Bücher für die Bordbibliothek freuen. Kotow, Skworzow und ihr Landsmann Michail Kornijenko haben sich außerdem laut Roskosmos eine Extra-Portion Süßigkeiten für die Feiern zum 65. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland am 9. Mai bestellt.

Mit dem neuen Frachter liegen derzeit vier russische Raumschiffe an der ISS vor Anker: Der Vorgänger „Progress M-04M“, das Kleine Forschungsmodul MIM-2 „Poisk“ (Suche) sowie die beiden bemannten Kapseln „Sojus TMA-18“ und „Sojus TMA-17“, die als „Rettungsboote“ dienen. Mit letzterem Raumschiff sollen Kotow, der US-Amerikaner Timothy Creamer und der Japaner Soichi Noguchi am 2. Juni zur Erde zurückkehren.
(Material für ddp)