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Gagarin 55

Credit: Präsidialamt
Credit: Präsidialamt

Berlin,  12. April 2016 —  Russland hat am Dienstag den 55. Jahrestag des historischen Raumfluges von Juri Gagarin mit einer Vielzahl von Aktionen und Veranstaltungen begangen. Der russische Bauernsohn war am 12. April 1961 mit seinem Raumschiff Wostok vom Kosmodrom Baikonur in der damaligen Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik gestartet und 108 Minuten später in der Wolgasteppe bei Kuibyschew,  dem heutigen Samara,  gelandet. Er eröffnete damit das Zeitalter der bemannten Raumfahrt. Der Tag wird inzwischen weltweit gefeiert.

 
Auffallend war,  dass die landesweiten Feierlichkeiten in Russland diesmal nicht von der Regierung organisiert wurden,  sondern vom neuen Raumfahrtkonzern GK Roskosmos. Der wiederum hatte dafür eine PR-Agentur engagiert. Trotz klammer Kassen wurden umgerechnet 3,7 Millionen Euro investiert. Das Ergebnis war eine für russische Verhältnisse ungewöhnlich moderne und vielfältige Präsentation des Jubiläums mit zahlreichen Internet-Aktivitäten. Unter dem Motto „Podnimi golowu!“ (zu Deutsch etwa: Erhebe das Haupt oder Kopf hoch!) wurde besonders die junge Generation aufgefordert, sich an Gagarins Heldentat ein Beispiel zu nehmen und ihm nachzueifern.
 
Zelebrierter Höhepunkt des Tages war eine Videoschalte zur Internationalen Raumstation ISS. Präsident Wladimir Putin übermittelte dabei der sechsköpfigen Besatzung persönlich seine Glückwünsche. In der Erdaußenstation arbeiten derzeit drei Russen,  zwei Amerikaner und ein Brite. Er wünsche allen, die jetzt trotz aller irdischen Probleme auf der Umlaufbahn zusammenarbeiten,  Erfolg. Im Weltraum arbeiteten die Menschen Schulter an Schulter,  Hand in Hand. Sie erfüllten dabei „höchstwichtige  Aufgaben“ nicht nur für ihre Ländern,  sondern für die ganze Menschheit, betonte der Präsident.
 
In Moskau,  den anderen Millionenstädten des Landes, in Baikonur und an ehemaligen Wirkungsstätten Gagarins stiegen in genau festgelegter zeitlicher Abfolge 108.000 Luftballons  mit dem Porträt des Kosmonauten auf –   je 1.000 für jede Minute seines Fluges. Auf dem neuen Startplatz Wostotschny im Amur-Gebiet,  der am 27. April eingeweiht wird,  nahmen die erste Frau im All,  Walentina Tereschkowa,  und der erste „Weltraumspaziergänger“ Alexej Leonow an der Gagarin-Ehrung teil. An der ersten Rakete,  die hier in zwei Wochen mit drei Satelliten aufsteigen soll,  prangt das Bildnis des ersten Kosmonauten. Das soll ab jetzt auch bei allen anderen Weltraumraketen der Fall sein.
 
In einer Videoschalte mit Tereschkowa und Leonow sagte Putin,  das neue Kosmodrom, das auf dem Gelände einer ehemaligen Raketendivision entsteht,  diene ausschließlich friedlichen Zwecken. Die Erfahrungen Russlands,  der USA,  Japans und anderer Staaten sollten ihre Zusammenarbeit fördern und es ermöglichen, „einander über den Weltraum auf der Erde  besser zu verstehen“.
 
Gagarins älteste Tochter Jelena,  die seit 15 Jahren Generaldirektorin der Moskauer Kreml-Museen ist,  sagte in einem Interview,  die herzlichen Gefühle, denen sie bei ihren Dienstreisen in aller Welt bei der Erwähnung des Namens ihres Vaters Gagarin begegne,  „sind die beste Erinnerung an ihn“. 
 
Roskosmos-Generaldirektor Igor Komarow zog zum Jubiläum eine positive Bilanz der Raumfahrtbranche,  die derzeit mit einer neuen Struktur aus der Krise herauszukommen versucht. Er betonte,  Russland habe weiterhin die weltweite Führung bei den Starts und Trägerraketen inne. Mit über 40 Prozent der Starts liege sein Land „mit großem Abstand“ vorn,  fügte er hinzu. Ungeachtet der westlichen Sanktionen führe man auch bei der Entwicklung und Produktion von Raketentriebwerken. Komarow verwies zudem  darauf,  dass der Privatsektor bereits eine „wichtige Rolle“ in einer Reihe von Bereichen auch der russischen Raumfahrt spiele und weiter spielen werde.
 
Roskosmos hat zum Gagarin-Jubiläum viele bisher unveröffentlichte Dokumente und Filme herausgebracht,  mit denen neue Einzelheiten enthüllt oder bisherige historische Darstellungen vervollständigt oder auch korrigiert werden. So werden Episoden aus Gagarins Leben beschrieben,  in denen er sich nicht gerade vorbildlich verhielt. In einem der Filme wird auch zugegeben,  dass der Flug von Wladimir Komarow mit Sojus 1 nicht hätte stattfinden dürfen,  weil sich das neue Raumschiff noch im „Rohzustand“ befand. Es sei dennoch gestartet worden,  um den 1. Mai mit einer neuen „Ruhmestat im Weltraum“ zu feiern. Kamarow habe gewusst,  dass er nicht lebend zurückkommen werde,  und deshalb vor dem Start am 23. April zusammen mit seiner Frau „sein Leben geordnet“. Er habe mit seinem Tod auf besonders tragische Weise das Versprechen der Kosmonauten eingelöst,  „jeden Auftrag von Partei und Regierung“ bedingungslos zu erfüllen.
 
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada sind über 60 Prozent der Russen der Ansicht,  dass ihr Land führend in der Raumfahrt ist. Nur 17 Prozent sehen  die USA und nur 6 Prozent China vorn. 
 
Der erste Deutsche Im All,  Sigmund Jähn,  sagte der Nachrichtenagentur TASS in einem Interview, er erinnere sich noch gut an den Tag, als die Nachricht vom Flug Gagarins im Radio lief. „Ich erinnere mich,  dass sich alle gefreut haben. Das war ein großer Sieg des sowjetischen Raumfahrtprogramms,  des sozialistischen Lagers,   zu dem auch wir,  die DDR,  gehörten.“ Auf die Frage, warum die politischen Spannungen auf der Erde nicht auf die Zusammenarbeit in der Internationale Raumstation ISS durchschlagen,  sagte Jähn: „Bei den internationalen Missionen arbeitet eine einheitliche Mannschaft. Sie haben gemeinsame Ziele,  und da,  wo es gemeinsame Ziele gibt,  herrschen Frieden und Freundschaft.“
 
Jähn war 1978 mit dem sowjetischen Kosmosveteranen Waleri Bykowski für eine Woche zur damaligen Raumstation Salut 6 geflogen. Fünf Jahre später war Ulf Merbold als erster Bundesbürger mit einem US-Shuttle unterwegs. 
 
(c) Gerhard Kowalski