Moskau, 17. Mai 2015 — Die Pannenserie in Russlands Raumfahrt ruft nun auch die Politik auf den Plan. Am Dienstag wird sich das Komitee für Verteidigung und Sicherheit des Föderationsrates mit dem Fehlstart einer Proton- und einer Sojus-Rakete sowie dem Versagen der Progress-Triebwerke bei einer geplanten Bahnanhebung der Internationalen Raumstation ISS befassen, wie russische Medien am Sonntag berichten. Dazu sollen auch die führenden Vertreter der Raumfahrtbranche geladen werden. Ministerpräsident Dmitri Medwedjew verlangte die Einsetzung einer Untersuchungskommission und die Bestrafung der Verantwortlichen für das Desaster, das mitten in die ernsthaften Bemühungen um die Bewältigung der seit 2011 andauernden Krise hineingeplatzt ist.
Inzwischen gibt es wilde Spekulationen über die Ursachen der drei Fehlschläge. Sie reichen von einer Fundamentalkritik an der verfehlten Personalpolitik über Schlamperei in der Produktion und fehlende Qualitätsstandards bis hin zum Verdacht auf Diversion. So forderte ein Abgeordneter, in die Untersuchungen des Proton-Absturzes vom Samstag auch die „Organe der Staatssicherheit“ einzubeziehen. Denn es sei auffällig, dass just in dem Moment, da Präsident Wladimir Putin das Gesetz über die Gründung der Staatskorporation (GK) Roskosmos in die Staatsduma einbringe, zwei völlig verschiedene Raketen vom Himmel fallen. Hier müsse untersucht werden, ob es sich um „technische Diversion“ aus dem Ausland oder innerhalb der Branche handeln könne.
Um Diversion in Zukunft auszuschließen, müsse aktiv an der „Schaffung einer Ideologie“ der Mitarbeiter der Raketen- und Raumfahrtindustrie gearbeitet werden. „Jeder in der Branche muss begreifen, warum er an Schrauben dreht, Raketen zusammenbaut oder ein Unternehmen leitet – damit Russland eine Großmacht wird, damit die Lage rund um das Land ruhig bleibt und damit die Raketen erfolgreich Sputniks und Apparate in den Weltraum bringen.“ Wenn man das im Kopf verstanden habe, „kann man uns weder durch Bestechungsversuche aus dem Ausland noch von innen besiegen“.
Inzwischen suchen Experten-Teams weiter nach den Ursachen der Havarien. Am Samstag war es in weniger als vier Stunden zu zwei folgenschweren Pannen gekommen. Beim Fehlstart einer Proton-M-Rakete ging der Telekommunikationssatellit MexSat-1 verloren, und bei der ISS schlug eine Bahnanhebung fehl, weil die Triebwerke eines Progress-Frachters nicht zündeten. Erst am 8. Mai war ein solcher Frachter mit 2,4 Tonnen Versorgungsgüter für die ISS und einer Kopie des Siegesbanners vom Berliner Reichstag an Bord offenbar wegen eines Fehlers in der dritten Raketenstufe abgestürzt. Bis zur Klärung der genauen Ursachen sind alle Landungen und Starts zur ISS erst einmal verschoben worden.
Auch beim Start des mexikanischen Satelliten vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan hat nach ersten Erkenntnissen die dritte Raketenstufe versagt. Medienberichten zufolge ist die Abtrennung der Bris-M-Oberstufe mit der Nutzlast wegen eines Problems mit den Steuertriebwerken nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt erfolgt. Die Raketenstufe sei über der südostsibirischen Region Tschita aus etwa 160 Kilometern Höhe abgestürzt. Durch die Explosion von mehreren Tonnen Treibstoff sei sie aber zerstört worden und verglüht, so dass kaum Wrackteile auf die Erde gefallen seien. Zudem war der Absturzort rund 30 Kilometer von der nächsten bewohnten Siedlung entfernt, so dass wahrscheinlich niemand zu Schaden gekommen sein dürfte.
Die Rakete mit dem 5,4 Tonnen schweren Satelliten war pünktlich um 07.47 Uhr deutscher Zeit gestartet. Neun Minuten später wurde die Live-TV-Übertragung von Roskosmos unterbrochen. MexSat-1 sollte in den kommenden 15 Jahren den mexikanischen Truppen als Verbindungsstation dienen sowie zivile und humanitäre Aufgaben im zentralen Teil Südamerikas erfüllen.
Der offiziellen Weltraumbehörde Roskosmos waren übrigens die beiden Samstag-Pannen lediglich eine dürre Neun-Zeilen-Meldung wert.