Moskau, 29. April 2015 — Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos gibt das havarierte und außer Kontrolle geratene Frachtraumschiff Progress M-27M auf. Die sichere Fortsetzung des Fluges und eine Kopplung an die Internationale Raumstation ISS erscheinen unmöglich, sagte Roskosmos-Chef Igor Komarow am Mittwoch in Moskau. Es habe sich gezeigt, dass unter anderem die Leitungen des Triebwerks nicht mehr hermetisch sind, fügte er nach Agenturberichten hinzu.
Nunmehr wird erwartet, dass der Havarist zwischen dem 5. und dem 7. Mai unkontrolliert in die dichten Schichten der Atmosphäre eintritt und verglüht, wie der Flugleiter des russischen ISS-Segments, Wladimir Solowjow, mitteilte. Es ist der erste Zwischenfall dieses Ausmaßes in der Progress-Geschichte.
Der Frachter war am Dienstagmorgen mit 2,4 Tonnen Nachschub an Bord vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan gestartet und sollte sechs Stunden später an der ISS anlegen. Offenbar wegen eines Fehlers im Steuerungssystem geriet das Raumschiff nach der Abtrennung von der dritten Stufe der modernisierten Sojus-2.1a-Trägerrakete auf eine zu hohe Umlaufbahn. Zudem öffneten sich mehrere Sonnenbatterien nicht, und der Frachter rotierte sehr schnell um seine Achse. Zahlreiche Versuche, telemetrischen Kontakt mit ihm aufzunehmen, scheiterten.
Für Russland ist der Verlust des Frachters zudem insofern fatal, als er zu einer spektakulären Aktion zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg dienen sollte. An Bord befindet sich die Kopie des Siegesbanners, das Soldaten der Roten Armee am 9. Mai 1945 auf dem Berliner Reichstag gehisst haben. Die Fahne sollte im russischen ISS-Segment entfaltet werden. Zudem prangten beim Start auf der Nutzlastverkleidung des automatischen Raumschiffes als weitere Siegessymbole eine Abbildung des Ordens des Vaterländischen Krieges und das schwarz-orangefarbene Sankt-Georgs-Band. Es geht auf den Sankt-Georgs-Orden, die 1769 eingeführte höchste militärische Auszeichnung Russlands, zurück. Seit dem 60. Jahrestag des Sieges gilt das Band als Zeichen des Gedenkens an den Großen Vaterländischen Krieg, wie die Russen den Zweiten Weltkrieg nennen.
Die Fahnen-Aktion scheint indes gerettet. Denn eine andere Kopie des Siegesbanners befindet sich bereits in der ISS, wie Roskosmos am Mittwoch überraschend meldete. Sie sei schon am 27. März von Gennadi Padalka, Michail Kornijenko (beide Russland) und Scott Kelly (USA) mit dem Raumschiff Sojus TMA-16M zur Station gebracht worden. Die Russen hatten das damals verschwiegen.
Eigentlich sind politische und religiöse Aktionen nicht im ISS-Abkommen vorgesehen. Die Russen haben allerdings zum Tag des Sieges immer wieder „patriotische Aktionen“ in der Station durchgeführt, die von den anderen Partnern geduldet wurden.
Der Verlust des Frachters hat nach Ansicht der US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA keinen Einfluss auf den Betrieb der ISS. Die Versorgung der sechsköpfigen Besatzung sei noch bis September voll gesichert.
Die Russen sehen auch den Start der nächsten ISS-Besatzung am 26. Mai bislang nicht in Gefahr. Sie haben jedoch eine Kommission gebildet, um die genaue Ursache der Havarie zu ermitteln, denn die Rakete ist künftig auch für bemannte Starts vorgesehen.
Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur TASS ist der jüngste Fehlschlag der 14. in der russischen Raumfahrt seit Dezember 2010.
(c) Gerhard Kowalski