Baikonur, 2. April 2010 — Das hat es in der Geschichte der russischen Raumfahrt noch nicht gegeben: Neben Familienangehörigen, Freunden, vielen Offiziellen, einem Priester und einer großen Pressemeute hat am Karfreitagmorgen auch ein Popsänger die russisch-amerikanische Besatzung des Raumschiffes „Sojus TMA-18“ im kasachischen Baikonur verabschiedet. Eigentlich sollte der Frontmann der berühmten Band „Semljanje“ (Erdenmenschen) den Traditions-Song „Trawa u doma“ live singen, als die Astronauten in der Nacht ihr Hotel Richtung Startplatz verließen. Doch Sergej Skatschkow war zu so früher Stunde noch „nicht bei Stimme“, wie es offiziell hieß. Und so musste der sehr bekannte und beliebte Hit, der von der großen Sehnsucht der Kosmonauten im All nach dem grünen Rasen vor ihrem Haus erzählt, wie in den Jahren zuvor vom Band eingespielt werden. Skatschkow versprach aber, das Versäumte an der Startrampe nachzuholen.
Danach traten Alexander Skworzow, Michail Kornijenko und Tracy Caldwell Dyson um 6.04 Uhr deutscher Zeit unter dem ohrenbetäubenden Donner der 20 Millionen PS starken Raketentriebwerke ihre zweitägige Reise zur Internationalen Raumstation ISS an, an der sie am Sonntagmorgen anlegen sollen. Mit ihnen erreicht die 23. Stammbesatzung, die seit Mitte März nur aus dem Russen Oleg Kotow, dem Amerikaner Timothy Creamer und dem Japaner Soichi Noguchi bestand, wieder ihre Soll-Stärke. Luftwaffen-Oberst Skworzow hatte vor dem Start noch ausdrücklich betont, wie stolz er und seine Kollegen seien, als gläubige Menschen gerade zu Ostern zur ISS fliegen zu können.
Angesichts der jüngsten Terroranschläge in Moskau waren auch auf dem ohnehin schon sehr streng bewachten Kosmodrom die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verschärft worden. Zusätzliche Patrouillen kontrollierten nach Presseberichten die besonders neuralgischen Punkte, und selbst Hubschrauber waren im Einsatz. Die Maßnahmen hätten auch dem Schutz der zahlreichen ausländischen Gäste und knapp 200 Journalisten gegolten, die zum Start angereist waren.
Im Gegensatz zu der üblichen Praxis hat die russische Raumfahrtagentur Roskosmos diesmal ebenfalls ausführlich über die Vorsichtsmaßnahmen entlang der Aufstiegstrasse des Raumschiffes informiert. So sollen auf 18 Flughäfen 11 Flugzeuge und 14 Hubschrauber bereitgestanden haben, um die Astronauten im Falle einer Havarie zu bergen. Im Japanischen Meer war sogar das Such- und Bergungsschiff „Maschuk“ stationiert.
Während ihrer halbjährigen Mission empfangen Skworzow, Kornijenko und Caldwell Dyson drei US-Raumfähren, ein russisches „Sojus“-Raumschiff und drei automatische „Progress“-Frachter. Der erste Shuttle startet bereits am Montag zur ISS. Zu seiner siebenköpfigen Besatzung gehören erstmals drei Frauen. Mit Caldwell Dyson sind damit vier Damen gleichzeitig im All – ein neuer Rekord in den Raumfahrtannalen. Im Mai kommt dann schon die nächste Raumfähre. Sie bringt unter anderem das Kleine Forschungsmodul (MIM 1) der Russen auf die Umlaufbahn, das das Trio dann in Betrieb nehmen muss. Zudem stehen 42 wissenschaftliche Experimente auf dem Arbeitsprogramm. Dabei wird erstmals auch ein neues Gerät eingesetzt, mit dem sich Erdbeben voraussagen lassen sollen.
Der Zufall will es, dass alle drei „Sojus TMA-18“- Astronauten im Laufe der Mission Geburtstag feiern. Den Anfang macht Kornijenko, der am 15. April 50 Jahre alt wird, gefolgt von Skworzow (6. Mai/44. Geburtstag) und Caldwell Dyson (14. August/41.). Aus diesem Grunde haben sie sich eine Weltraum-Premiere ausgedacht. Sie wollen an diesen Tagen zum ersten Mal in der Schwerelosigkeit Fußball spielen. Platz genug dafür ist ja in der Station, die übrigens mit ihren Sonnensegeln die Ausmaße eines Fußballfeldes hat. Wie das Match aber genau vonstatten gehen soll, wurde bislang nicht verrraten. So darf gerätselt werden, was denn als Ball dient und wo die Tore stehen werden.
Mit einem speziellen Problem hat indes Caldwell Dyson zu kämpfen, die übrigens hervorragend Russisch spricht und auch schon mal ein russisches Volkslied zum Besten gibt. Die promovierte Chemikerin war nicht bereit, dem Ratschlag ihres Double-Landsmanns Scott Kelly zu folgen und ihre wunderschönen langen dunklen Haare abzuschneiden. Sie wisse natürlich, dass die da oben hinderlich sein können, schließlich habe sie ja im August 2007 schon einmal in der Station gearbeitet, sagte die Kalifornierin. Aber sie werde schon „zusätzliche Maßnahmen“ ergreifen, um die Lockenpracht zu bändigen. Denn sie wolle auch im All nicht auf dieses weibliche Attribut verzichten.
(Material für ddp)