Baikonur/Koroljow, 28. März 2015 — Die Situation ist paradox: Während die USA und Russland wegen der Ukraine-Krise auf der Erde heftig im Clinch liegen, demonstrieren sie im All, dass es auch ganz anders geht. Der Russe Michail Kornijenko (54) und sein amerikanischer Astronauten-Kollege Scott Kelly (51) sind am Samstagmorgen um 02.33 Uhr deutscher Zeit zu ihrer Jahresmission in der Internationalen Raumstation ISS eingetroffen, die bis zum 3. März kommenden Jahres dauern soll.
Nur knapp sechs Stunden zuvor war ihr Raumschiff „Sojus TMA-16M“ planmäßig vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan gestartet. Mit an Bord war als dritter Mann der Russe Gennadi Padalka (56), der ein halbes Jahr in der Station bleiben soll.
Das Trio wurde überschwänglich von Kommandant Terry Virts (USA) und seinen Bordingenieuren Anton Schkaplerow (Russland) und Samantha Cristoforetti (Italien/ESA) begrüßt, die seit vier Monaten auf der Umlaufbahn sind.
Fortsetzung des Sojus-Apollo-Test-Projekts
Die 72 überwiegend lebenswissenschaftlichen Experimente, die die beiden Männer im Laufe der Rekordmission durchführen sollen, dienen nach Auskunft der NASA-Expertin Julie Robinson der Vorbereitung von Mars-Flügen. So will man herausfinden, wie die Risiken für solche Langzeitflüge minimiert werden können. Dazu würden auch einige „beispiellose Versuche“ fortgesetzt, die vor nunmehr 40 Jahren beim Sojus-Apollo-Test-Projekt (SATP) begonnen wurden, fügte die Chefin des amerikanischen ISS-Wissenschaftsprogramms hinzu. Dabei gehe es unter anderem um Veränderungen im Flüssigkeitshaushalt, die zur Druckerhöhung im Gehirn führen können.
Mit dem Shakehands auf der Umlaufbahn von Raumfahrern aus der damaligen Sowjetunion und den USA im Juli 1975, also zu Zeiten des Kalten Krieges, war der Grundstock für die heutige internationale Zusammenarbeit in einer Raumstation wie der ISS gelegt worden. Die politischen Probleme zwischen beiden Ländern hätten auch heute keinen Einfluss auf die Arbeit der Astronauten, betonte Robinson. Da habe man einen „amerikanisch-russischen Konsens“ gefunden.
Für Kornijenko ist dies der zweite und für Kelly der vierte Raumflug, darunter der dritte zur ISS. Beide hatten 2010 bereits jeweils rund sechs Monate in der Station gearbeitet, ohne sich allerdings dort zu begegnen. Hauptziel der gemeinsamen Arbeit sei es, das „Fundament“ für die Erschließung des fernen Weltraums und neuer Planeten legen zu helfen, sagte Kornijenko auf der Vorstartpressekonferenz. Eine ganz besondere Rolle kommt hier seinem Freund Kelly zu. An ihm soll nämlich der lang anhaltende negative Einfluss der Raumflugfaktoren auf den menschlichen Organismus erforscht werden, wobei ihm sein eineiiger Zwillingsbruder Mark als ideale Kontrollperson dient. Mark war auch schon in der ISS, hat sich aber nach einem Attentat auf seine Frau, eine Kongressabgeordnete, aus der NASA verabschiedet.
Erste Jahresmission der Amerikaner
Für die USA ist dies die erste Jahresmission in ihrer Raumfahrtgeschichte überhaupt. Die Russen Wladimir Titow und Mussa Manarow haben bereits 1987/88 365 Tage am Stück auf der Umlaufbahn verbracht, und 1994/95 stellte der russische Arzt Waleri Poljakow mit 437 Tagen den bisher gültigen Weltrekord auf. Er unternahm damit quasi im Selbstversuch einen Flug zum Mars und zurück.
Trotzdem haben auch die Russen ein großes Interesse an der Mission, der möglicherweise noch weitere folgen werden. Denn sowohl die Medizin als auch die Technik hätten in den vergangenen 20 Jahren einen „großen Sprung nach vorn“ gemacht, sagte Kornijenko, so dass wichtige neue Erkenntnisse zu erwarten seien.
Der Russe und der Amerikaner sind für ihren Rekordflug gesondert ausgestattet worden. So haben sie zum Beispiel doppelt so viel Bordanzüge und Unterwäsche im Gepäck wie ihre Kollegen, die nur halb so lange in der Station bleiben. Allerdings müssen sie wie diese mit nur einem Paar Schuhe auskommen, weil diese ja lediglich beim täglichen Training auf dem Laufband gebraucht werden und sich also kaum abnutzen.
Kopie des Siegesbanners im Gepäck
Das Duo wird in den kommenden Monaten vier russische und einen japanischen Frachter sowie zwei bemannte „Sojus“-Raumschiffe empfangen. Im September gehört dabei neben dem Russen Sergej Wolkow und dem ersten dänischen Astronauten Andreas Mogensen auch die britische Sängerin Sarah Brightman als Weltraumtourist zur Besatzung. Ferner ist im Juni ein Ausstieg von Kornijenko und Padalka in den freien Raum geplant.
Außerdem stehen einige Jubiläen an, so am 12. April der Internationale Tag der Raumfahrt und drei Tage später der 55. Geburtstag von Kornijenko. Der hat übrigens eine Kopie des Siegesbanners, das die Rote Armee vor 70 Jahren, im Mai 1945, auf dem Berliner Reichstag gehisst hat, und eine kleine Russland-Fahne im Gepäck. Sie sollen im russischen Segment einen Ehrenplatz erhalten und dann, mit einem Bordstempel versehen, wieder auf die Erde zurückgebracht werden. Eigentlich sind politische und religiöse Demonstrationen in der ISS nicht erlaubt. Doch die Russen organisieren dort regelmäßig zum Tag des Sieges patriotische Aktionen, wie sie das nennen. Mitte Juli folgt dann der 40. Jahrestag des Sojus-Apollo-Test-Projekts, den die Russen und Amerikaner sicher gemeinsam begehen werden.
Padalka strebt Langzeitflugweltrekord an
Padalka will indes bei seinem nunmehr 5. Raumflug einen neuen Langzeitflugweltrekord aufstellen. Derzeit hat er 710 Tage auf seinem Konto. Zum Abschluss seiner Halbjahresmission sollen es dann 878 Tage sein. Damit entthront er seinen Landsmann Sergej Krikaljow, der es bei sechs Flügen auf zusammen 803 Tage brachte.
Eigentlich ist Padalka nur per Zufall zu dem Flug gekommen. Nach der ursprünglichen Planung sollte Juri Lontschakow diesen Platz einnehmen. Doch dann legte er sich mit dem damaligen Chef des Kosmonautenausbildungszentrums (ZPK) „Juri Gagarin“, Krikaljow, an und verließ – trotz seiner festen Nominierung – im Streit das Kosmonautenkorps, was es bis dato wohl noch nie so gegeben hat. Für ihn ist sprang dann also Padalka ein.
Inzwischen ist Krikaljow schon lange nicht mehr ZPK-Chef. Sein Nachfolger wurde – Lontschakow. Der Friede im Kosmonautenkorps, das gegen den ungeliebten Krikaljow sogar vor Gericht gezogen war und gewann, war wieder hergestellt. Nun wird man wohl den neuen Langzeitflugweltrekordler nach seiner Rückkehr gebührend feiern.
(c) Gerhard Kowalski