Berlin/Baikonur, 18. März 2010 — Mit mehreren voll ausgereiften getrockneten Weizenhalmen als wertvoller Konterbande im Gepäck sind der russische Kosmonaut Maxim Surajew und sein US-Astronautenkollege Jeffrey Williams am Donnerstag sicher von der Internationalen Raumstation ISS zurückgekehrt. Der russische Oberst hatte illegal ein paar Zwergweizen-Saatkörner in der Tasche, als er mit Williams und dem kanadischen Zirkusdirektor Guy Laliberté Ende September vergangenen Jahres zur ISS startete. Er säte sie heimlich in der Bordorangerie aus und landete damit einen sensationellen wissenschaftlichen Erfolg: Zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt hatte sich Weizen in der Schwerelosigkeit voll mit Ähren und Körnern ausgebildet.
Wäre es nach den Wissenschaftlern auf der Erde gegangen, hätte Surajew die Halme wieder herausreißen müssen, als er sie unvorsichtigerweise stolz präsentierte. Doch er verweigerte den Gehorsam. Er bringe es einfach nicht über das Herz, diese „klasse“ Pflanzen in die Bio-Tonne zu werfen, lautete sein Argument. Der geschmuggelte Zwergweizen konnte damit offiziell weiter reifen.
Natürlich hatten Surajew und Williams viele wichtige Ergebnisse ihres umfangreichen Wissenschaftsprogamms dabei, als sie bei kaltem und windigem Wetter in der kasachischen Steppe landeten. Für die Öffentlichkeit und die Presse ist indes der Geniestreich mit dem Weizen das Highlight des Fluges. Williams kann zudem auf einen neuen Rekord verweisen. Er hat in den vergangenen fünfeinhalb Monaten exakt 83 856 Fotos mit seinen Digitalkameras geschossen und damit seine bisherige Bestmarke aus dem Jahr 2006 überboten, als er mit dem Russen Pawel Winogradow und dem deutschen ESA-Astronauten Thomas Reiter unterwegs war. Einen Teil der Aufnahmen werde er bald ausstellen, versprach er. Insgesamt haben die ISS-Besatzungen nach Angaben der US–Luft- und Raumfahrtbehörde NASA bisher 639 000 Fotos gemacht.
Doch Surajew war nicht nur als Hobby-Biologe überaus erfolgreich. Er setzte auch bei der Popularisierung der Raumfahrt in seinem Land neue Maßstäbe. Als erster der über 100 russischen Kosmonauten richtete er einen Blog ein. Mit für russische Verhältnisse höchst ungewohnter Offenheit berichtete er unter dem Motto „Nachrichten aus der Schwerelosigkeit“ und „Das Tagebuch von Maxim Surajew“ wie ein Profi regelmäßig in Wort und Bild über das Geschehen an Bord. Er schilderte den ganz normalen All-Tag und die Arbeit mit ihren Tücken in der Erdaußenstation, stellte allgemein verständlich die wissenschaftlichen Geräte und Experimente vor, interviewte humorvoll seine Kollegen, erklärte die Küche, die Schlafkabinen und die sanitären Einrichtungen und unternahm rasante Kamerafahrten durch das Labyrinth der vielen Module.
Als begeisterter Fotograf machte auch er ungezählte Fotos und lieferte so die ersten Bilder von der Erde aus der neuen Aussichtsplattform „Cupola“ mit ihren sieben Panorama-Fenstern. Sein schauspielerisches Talent, sein Mutterwitz, seine Sprachgewalt und seine fachliche Kompetenz begeisterten nicht nur sein einheimisches Publikum und machten ihn bald zum Kultstar.
Surajews internationale Fan-Gemeinde wird ihn schmerzlich vermissen, denn ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Landsmann Oleg Kotow, der jetzt als Kommandant mit dem Amerikaner Timothy Creamer und dem Japaner Koichi Noguchi die 23. Stammbesatzung bildet, hat schon abgewinkt. Er ist nicht so ein extrovertierter Typ wie der Blondschopf aus Tscheljabinsk. Aber vielleicht springt ja einer der beiden Russen, die Anfang April mit einer Amerikanerin zur ISS fliegen und die Mannschaft wieder komplett machen, für Surajew ein. Immerhin ist Russland dann erstmals mit drei Kosmonauten in der Station vertreten. Da sollte doch etwas zu machen sein, zumal große Jubiläen anstehen: Am 12. April feiert das „Sternenstädtchen“, wo die Kosmonauten ausgebildet werden, sein 50. Gründungsjubiläum, und am 12. April 2011 jährt sich zum 50. Mal der Tag, an dem Juri Gagarin als erster Mensch ins All flog und das Zeitalter der bemannten Raumfahrt einleitete.
(Material für ddp)