Toulouse, 15. Februar 2015 — Über dem Südpazifik ist am Sonntag eine europäische Erfolgsgeschichte zu Ende gegangen. Mit dem Automated Transfer Vehicle “Georges Lemaitre” (ATV-5) wurde das fünfte und letzte europäische Frachtraumschiff gezielt zum Absturz gebracht, teilte das ESA-Kontrollzentrum im französischen Toulouse mit. Es war nach siebenmonatigem Gemeinschaftsflug am Samstag von der Internationalen Raumstation ISS abgekoppelt worden und ist am Sonntagabend gegen 19.04 Uhr mit 2,5 Tonnen Abfall an Bord in den dichten Schichten der Atmosphäre verglüht. Nur ganz wenige Teile des bisher größten und komplexesten Frachters, der jemals in Europa gebaut wurde, überstanden den Höllenritt und fielen ins Meer.
Eigentlich sollte das ATV erst am 27. Februar versenkt werden. Doch wegen des Ausfalls einer Batterie an einem der vier Energiesysteme in der vergangenen Woche entschloss man sich zur vorzeitigen Beendigung des Fluges, um kein Risiko einzugehen, wie Missionsmanager Massimo Cislaghi betonte. Damit fiel ein geplantes Bahnmanöver aus, mit dem ein mögliches Absturzszenario für eine sichere Entsorgung der ISS nach deren Betriebsende irgendwann im nächsten Jahrzehnt getestet werden sollte. Das Manöver auf einer speziellen flachen Abstiegsbahn sollte von der Stationsbesatzung beobachtet und gefilmt werden.
ATV-5 hatte am 12. August vergangenen Jahres 6,6 Tonnen Versorgungsgüter und wissenschaftliche Experimente zur ISS gebracht und war mit 20,3 Tonnen die bisher schwerste Nutzlast einer Ariane-Europarakete. Während der mehr als 200-tägigen Missionen wurden die ATV-Triebwerke mehrfach für ISS-Bahnmanöver gezündet. Damit konnte die Station unter anderem Weltraumschrott ausweichen. Zudem wurde ihre Bahn mehrfach angehoben und auch einmal abgesenkt, um es automatischen Frachtern zu ermöglichen, größere Nutzlasten zur Station zu befördern. Erstmals war eine solche Absenkung 2008 mit ATV-1 “Jules Verne” vorgenommen worden.
Die fünf Frachter von der Größe eines Londoner Doppeldecker-Busses brachten zusammen knapp 32 Tonnen Nachschub zur ISS. Während des Gemeinschaftsfluges wurden durch Zünden der vier ATV-Haupttriebwerke insgesamt 40 Bahnmanöver durchgeführt. Zumeist wurde die Umlaufbahn dabei angehoben, von „Johannes Kepler“ 2011 auf einen Schlag gleich um 40 Kilometer, was ISS-Rekord bedeutet.
Nach Auslaufen des höchst erfolgreichen ATV-Programms, an dem Deutschland großen Anteil hat, fließen die dafür entwickelten technischen Lösungen in das Service-Modul der ESA für das neue bemannte NASA-Raumschiff “Orion” ein. Das Modul treibt die Kapsel an, die für Flüge zum Mond, zu Asteroiden und auch zum Mars vorgesehen ist, und versorgt sie zugleich mit Energie, Sauerstoff, Stickstoff und Wasser. Die ESA hofft, mit „Orion“ auch einen Fuß in der Tür zu bemannten US-Missionen zu haben. Allerdings hat die NASA bisher erst ein Modul geordert, das 2017 erstmals getestet werden und erst Anfang des nächsten Jahrzehnts bemannt fliegen soll. Ob die Chance auf Folgeaufträge besteht, ist ungewiss.
(c) Gerhard Kowalski